Sanfte Hügel, weiches Licht

Fünf auf einen Streich: touristische Neuentdeckungen im Nordwesten der Toskana.

Wer eine Toskana-Reise plant, denkt dabei meist an altehrwürdige Städte wie Florenz, Pisa, Siena, Lucca und San Gimignano. Wenn es nach den Gemeindeverwaltungen in der sanften Hügellandschaft des Arnotals geht, wird sich dies bald ändern. Neben geschichtsträchtigen, aber touristisch überlaufenen Kunststätten sollen Toskana-Liebhaber künftig auch kleinere und bislang noch unbekannte Städte besuchen. Beispielsweise Santa Maria a Monte, Montopoli oder San Miniato. Der Turm dort biegt sich nicht zur Seite, sondern er ragt geradeaus in den Himmel. Der „Torre“ war im 13. ­Jahrhundert­­ auf Anweisung des Stauferkönigs Friedrichs II. erbaut worden. Über der Stadt thronte eine gewaltige Burganlage, von der aus der Handels- und Pilgerweg zwischen Frankreich und Rom, die so genannte Via Francigena, und der Verbindungsweg zwischen Pisa und Florenz kontrolliert wurden. Der Turm Friedrichs II. wurde nicht nur als Wachturm genutzt, sondern auch als Kerker. Petrus da de Vinea, ein Minister und einflussreicher Kaiserberater, der in Ungnade gefallen war, weil ihn Friedrich II. verdächtigte, an einem Giftanschlag mitgewirkt zu haben, war hier interniert und wurde anschließend geblendet.

San Miniato eignet sich für geschichtsinteressierte Besucher gleichfalls wie für Liebhaber von Trüffelgerichten.

Geschichte und Geschmack

Stauferkönig Friedrich II. war nicht der einzige deutsche Kaiser, der die Höhenlage San Miniatos nutzte. Bereits im Jahr 962 ließ Kaiser Otto I. in San Miniato eine Burg errichten. Damals bekam die Stadt den Beinahmen „San Miniato al Tedesco“. 1178 hielt sich Barbarossa in der Burg auf, später folgten Heinrich IV. und Otto IV. Heute zieht der Ort, in dem auch der dreischiffige Dom, der im 18. Jahrhundert umgebaut wurde, und ein von Franz von Assisi persönlich gegründetes Franziskanerkloster einen Besuch lohnen, nicht nur geschichtsinteressierte Toskana-Urlauber an, sondern auch Liebhaber der Trüffel. Fast das ganze Jahr über machen sich die Tartufai, die Sammlerfamilien, die in der Hügellandschaft um San Miniato zu Hause sind, auf die Suche nach den schmackhaften Pilzen, die unter der Erde wachsen.
„Von September bis Dezember suchen wir die weißen Trüffel, in der Zeit von Januar bis April die braunen Frühlingstrüffel und von April bis September die schwarzen Sommertrüffel“, erklärt der 47-jährige Riccardo Nacci, der in eine Trüffelsucherfamilie eingeheiratet hat und inzwischen ein Delikatessengeschäft betreibt, in dem hauptsächlich Trüffelprodukte verkauft werden. Zwei Mal im Jahr dreht sich in San Miniato fast alles um die Trüffel: Beim Trüffel- und Pilzfest im Oktober und an den drei letzten Wochenenden im Monat November, wenn die Messe der weißen Trüffel zelebriert wird.

Tosca, die Bratkartoffel

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San Miniato war lange Zeit unter deutscher Herrschaft und der wichtigste Stützpunkt der römisch-deutschen Kaiser in der Toskana. Heute erinnert vor allem der Torre di Federico II, der Friedrichsturm, an die alten Zeiten. Er ist das einzige Überbleibsel einer ganzen Kaiserburg und wurde nach seiner Zerstörung durch deutsche Soldaten im Jahr 1944 erst im Jahr 1958 wieder aufgebaut. (Foto: Massimo Lenzo)

San Miniato ist nur einer von mehreren Orten im Nordwesten der Toskana, die von Touristen oft zu Unrecht übersehen werden. Eine weitere, noch weitgehend unentdeckte Perle ist die Kleinstadt Montopoli. Unübersehbar ist der Turm San Matteo aus dem Jahr 1431, gleich gegenüber dem Rathaus. Nicht weit davon entfernt findet sich im Palazzo Guicciardini ein liebevoll gestaltetes Heimatmuseum, das etruskische Gräberfunde und Keramikarbeiten aus der Region präsentiert.
Viele Kellergewölbe unterhalb der mittelalterlich geprägten Stadt finden sich auch in Santa Maria a Monte. Das ist sehr praktisch für die Bewohner des Städtchens, dessen Häuser drei Ringe bilden, so dass die Stadt von oben wie eine Schnecke aussieht. Die wichtigste regionale Spezialität in Santa Maria a Monte ist nicht der Trüffel oder das Olivenöl, sondern eine besondere Kartoffelsorte, die „Tosca“. Ihr zu Ehren wird alljährlich ein mehrtägiges Bratkartoffelfest (Sagra della Patata Fritta) veranstaltet. Ebenfalls sehenswert: die Johanneskirche („San Giovanni“) und die Casa Carducci, in der die Familie des Literaturnobelpreisträgers Giosuè Carducci einige Jahre lang lebte. Gleich daneben: Die Casa Galilei, in welcher der Musiktheoretiker Vincenzo Galilei, Vater des Naturwissenschaftlers Galileo Galilei, seine ersten Lebensjahre verbracht haben soll. „Galileo Galileis physikalische und astronomische Forschungen waren auch von der Arbeit seines Vaters beeinflusst, ein Beispiel ist die Bewegung des Pendels“, berichtet Fremdenführerin Elena Congestri. Ebenso wie Santa Croce sull’ Arno schmiegt sich auch Castelfranco di Sotto an das nördliche Ufer des Arno. „In unserer Region gab es ständig Kämpfe zwischen Lucca, Pisa, Florenz und Siena. Deshalb hat man die Bevölkerung von vier Dörfern, die im Kampfgebiet lagen, in einer Stadt zusammengezogen“, erklärt der Heimatforscher Gabriele Manfredini.

Florentinische Tradition

Um 1400 gewann Florenz die politische Macht, weshalb sowohl am Rathaus wie auch an der Sankt-Peter-und-Paul-Kirche ein aus Stein gemeißelter Florentiner Löwe angebracht ist – obgleich die Gemeinde inzwischen längst zum Bezirk Pisa gehört. Die Tradition der vier Dörfer, die in den quadratisch angelegten Ort umgesiedelt wurden, ist noch immer lebendig. Jeder der vier Stadtteile ist stolz auf seine Wurzeln und schmückt sich mit einer eigenen Fahne. Und einmal jährlich, beim Palio, einem mittelalterlichen Wettkampf, treten die einzelnen Stadtviertel noch heute zum Kräftemessen an. Eine Veranstaltung, die noch heute eher Volksfest ist als Touristenspektakel. Im Gegensatz zum Palio in Siena, der mit Pferden ausgefochten wird, treten die Bewohner Castelfrancos mit kleinen, mit Rädern versehenen Booten gegeneinander an.

RAINER HEUBECK

San Miniato

Anreise: Von Graz bis San Miniato sind knapp 700 Kilometer zurückzulegen. Ab Florenz empfiehlt sich die Autobahn Firenze­–Pisa–Livorno (Ausfahrt „San Miniato”).

Auskunft: Italienische Zentrale für Tourismus ENIT. Die Agenzia per il Turismo di Pisa finden Sie im Internet unter www.turismo.pisa.it, Informationen über einzelne Städte im Valdarno finden sich beispielsweise unter www.montopoli.net und www.cittadisanminiato.it

Übernachtung: Am Rande von San Miniato können Sie stilvoll in einer Villa übernachten, die einst der Familie Bonaparte gehörte: Villa Contessa Marianna, Via San Pietro, San Miniato, Telefon und Fax +39 571 422 76, E-Mail.

Ein sensationelles Frühstück und ebenso tolle Trüffelgerichte gibt es bei Silvia im schönen toskanischen Hideaway Corniano Vacanze

Einkaufen: Trüffelprodukte, vom Trüffelgrappa bis zur Trüffelmarmelade, bietet Tartufi Nacci,
Via Zara, 110 –Loc. Corazzano, San Miniato, Tel. und Fax 0039 571 462 846, E-Mail.

Günstige Lederwaren werden im ­Fabrikverkauf bei Tuscan’s feilgeboten: Tuscan’s,
Via Corridoni 20 – 22, Ponte a Egola, Tel. +39 571 494 24, E-Mail.

Beitragsbild: (c) Massimo Lenzo