Wie viel Hamburg passt eigentlich in zwei Tage?
So einiges – mit viel Entdeckergeist, guten Schuhen und wenig Schlaf.
Moin, Moin! Es ist später Vormittag und unten bei den St.-Pauli-Landungsbrücken weht mir eine recht steife Brise um die Nase
– hanseatisches Kapuzenwetter. Bei Brücke Nr. 10 stehen japanische Touris, Hipster und Hafenarbeiter einträchtig in einer langen Schlange. Es gibt hier die besten Fischbrötchen der Stadt, hat mir mein Facebook-Schwarm gesteckt. Brathering, Rollmops, Stremellachs, Backfisch, Nordseekrabben, Makrelenfilet kommen in großzügiger Portionierung zwischen zwei knusprige Brötchenhälften. Die entzückende Location tut ihr Übriges zum Hafenkantenfeeling: Drinnen wie draußen sitzt man auf selbst gezimmerten weißen Holzbänken oder -hockern. Auf den Bänken liegen Schaffelle und Decken, damit niemand frieren muss. Zum tatsächlich köstlichen Krabbenbrötchen schmeckt ein kaltes Astra. Die Elbe schwappt direkt an die Brücke Nr. 10, der Wind teilt die Wolken und die Möwen umkreisen ein ablegendes Containerschiff. Hamburg, erste Reihe fußfrei.
Auf den Besuch der Elphi habe ich mich besonders gefreut. Der Spitzname, ein Indiz mehr dafür, dass die skeptischen Hamburger zaghaft Freundschaft schließen mit ihrem neuen Wahrzeichen, erzählt mir Natalie Ruoß vom Hamburg Tourismus. Den Kopf weit im Nacken blicken wir hinauf auf die gigantische geschwungene Glaskonstruktion. Entworfen wurde das Haus von dem renommierten Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron. Auf einem Backsteinsockel – dem ehemaligen Kaispeicher A, der einst als Tee-, Tabak- und Kakaolager diente – ragt der gläserne Neubau mit seiner geschwungenen Dachlandschaft bis zu 110 Meter hoch in den Himmel. Erbaut an der westlichen Spitze der modernen HafenCity, Europas größtem innerstädtischen Stadtentwicklungsprojekt.
Elphi ist für alle da
Oben im 8. Obergeschoß auf der Plaza kann ich mich nicht sattsehen an dem Panorama über Stadt und Hafen. „Der Auftrag, Musik für alle Menschen erfahrbar zu machen, wurde der Elbphilharmonie quasi ins Stammbuch geschrieben“, sagt Natalie Ruoß. Der Zugang zu Kultur in der Elbphi ist niederschwellig: Die Ticketpreise sind moderat, Dresscode gibt es keinen und das unkomplizierte „Deck und Deli“ der Braumanufaktur Störtebeker sorgt für die Verköstigung der Besucher. Die Elphilharmonie will für alle da sein, nicht nur für ein kulturaffines, elitäres Publikum.
Das Herz des Gebäudes ist der große Konzertsaal. Wie auf Weinbergterrassen sind hier etwa 2.100 Plätze um eine mittig liegende Bühne angeordnet. Kein Zuhörer ist weiter als 30 Meter vom Dirigenten entfernt. Bei meiner Führung durch die leere Halle, höre ich die beiden Tontechniker vom anderen Ende des Saales flüstern. Für die optimale Akustik haben die Architekten gemeinsam mit dem Akustiker Yasuhisa Toyota eine besondere Wand- und Deckenstruktur entwickelt – die „Weiße Haut“.
10.000 millimetergenau und individuell gefräste Gipsfaserplatten streuen den Schall gezielt in alle Winkel. Hier erlebe ich an diesem Abend ein restlos ausverkauftes Konzert des NDR Elbphilharmonieorchesters – die Interpretationen von Strawinsky und Schostakowitsch sorgen für Gänsehaut. Es passt gut, dass ich nach dem Konzert noch ein wenig durch die nächtliche Stadt schlendern kann.
Sternschanze: der alternative Kiez
Mein Abend klingt im Schanzenviertel aus. Auf dem Schulterblatt und in den Seitenstraßen hat sich zwischen internationaler Gastronomie eine bunte Mischung aus Boutiquen, Cafés und Ausgeh-Locations entwickelt. Seit 1989 prägt das von Autonomen besetzte Kulturzentrum Rote Flora die „Schanze“ und sorgt dort für Widerstand gegen die Gentrifizierung des Stadtteils. Mit mäßigem Erfolg: Der Wandel vom einstigen Arbeiterquartier zum Hipster-Viertel ist kaum aufzuhalten. Uns kommt das zugute: Im „Cantina Popular!“ schmecken zum Corana an der langen Bar herrliche lateinamerikanische Häppchen. Ceviche in vielen Varianten, Anticuchos de Corazón, Sandwich de Chicharron oder gegrillter Pulpo machen die Wahl zur Qual.
Die Nacht ist kurz im gemütlichen Mansardenzimmer des brandneuen Sir Nikolai Hotels, an das große Dachschrägenfenster trommelt der Regen. Das siebenstöckige Kontorhaus – ehemals Lager für Saatgut – umfasst 94 Zimmer und Suiten mit Blick auf das Fleet, die Speicherstadt, die HafenCity. Visionär Yossi Eliyahoo hat den stylishen Restaurant- und Barbereich designt, in dem ich das wundervolle Frühstück mit reichlich Räucherfisch genieße. Nicht allzu lange, denn Tomas Kaiser wartet. Der promovierte Kulturwissenschaftler ist City Guide, kennt Hamburg aus dem Effeff und hat unfassbar viele Geschichten über seine Stadt zu erzählen. Mit dem StadtRAD, das es hier überall auszuleihen gibt, reihen wir uns ein in den Stadtverkehr – Tomas voran.
„Komm in die Gänge!“, fordern plakative rote Aufkleber in der Neustadt kurz und bündig. Wir folgen dem Aufruf und radeln durch das Gängeviertel: historischer Teil der Innenstadt, Kunstobjekt und Sozialprojekt. 2009 hat eine Gruppe aus Kunstschaffenden und politisch Aktiven die Gebäude des ehemaligen Arbeiterviertels zwischen Caffamacherreihe, Valentinskamp und Speckstraße besetzt und damit vor dem Abriss bewahrt. Rund 500 Kunstschaffende leben und arbeiten hier an einem alternativen Gesellschaftsbild, erzählt Tomas.
Den Kopf zu mir nach hinten gedreht erzählt er von angesagten Designern, großartigen DJs, Musikern und Werbern, fantastischen Festivals, darüber, wie sich St. Pauli verändert hat und dass Hamburg ohnehin längst das neue Berlin ist. Ich würde mitschreiben, hätte ich nicht die Hände am Lenker. Wir flitzen durch das entzückende Karolinenviertel mit seiner Marktstraße, einem Flaniermeilchen mit Cafés, Imbissen, kleinen Geschäfte, Ateliers und Boutiquen.
Das Künstlerhaus Vorwerkstift und die Galerie Hinterconti sind alteingesessene Off-Kunst-Institutionen, erfahre ich. Im Konzert-Club Knust, im Dschungel, im Karo-Eck oder im Yoko Mono spiele sich hier zwischen den angrenzenden „Kiezen“ St. Pauli und Schanzenviertel ein eher unaufgeregtes Nachtleben ab. (Beim nächsten Mal …) Im Vorbeifahren sehe ich aus dem Augenwinkel das bezaubernde kleine Restaurant haebel – ein Schild an der Türe lockt mit Nordic French Cuisine. Ein paar Stunden später werde ich hinter der großen Panoramascheibe ein unfassbar feines Dinner von Patron Fabio Haebel genießen. (Empfehlung!)
Zum Hunger-Anspazieren ging es am Nachmittag noch raus nach Blankenese, wo sich unterhalb des ehemaligen Fischerdorfes imposante Stadtvillen an die Hänge des Elbufers schmiegen. Hamburg kann also auch mediterran – so entzückend! Mehr passte dann nicht mehr rein in meine 48 Stunden.
Aber, Hamburg, Liebes, ich komme wieder, versprochen.
CLAUDIA PILLER-KORNHERR
Web-Tipps
sirhotels.com/nikolai
haebel.hamburg
cantina-popular.com
stadtrad.hamburg.de
elbphilharmonie.de
Beitragsbild: mediaserver.hamburg.de