Virgin Island: Blackbeard taucht unter

Virgin Island: Cruz Bay
Auf den Kleinen Antillen wird gefeiert. Die Rückkehr der Touristen zum Beispiel, oder Karneval oder beides. Let’s go Caribbean, bevor sich die Dänen ihre frühere Kolonie zurückholen. You never know!

Die Disco-Musik aus der kleinen Empfangshalle ist laut unter dem Wellblech. So laut, wie die gelbgrüne Licht­orgel über dem Tourenschalter neben den drei Gepäcks­bändern grell ist. Doch bis dorthin kann es dauern: Eine gemächliche Runde über die Rollfelder des Cyril E. King Airport von Saint Thomas sollte jeder einkalkulieren, der hier landet. Gangways oder Flugfeldbusse kennt niemand: Drei fast gleichzeitig gelandete Boeings aus Chicago, Denver und Indianapolis, das gibt einen Gänsemarsch von 600 Menschen, durch ein Spalier von US-Soldaten, die QR-Codes und Impfdokumente kontrollieren. Reisepässe interessieren niemanden, denn irgendwie zählen die amerikanischen Jungferninseln als US-Territorium, ohne Bundesstaat zu sein.

Virgin Island: Palmenpracht

Die üppige Palmenpracht ist Teil des farbenfrohen
karibischen Alltags.

Die United States Virgin Islands (USVI) sind heute ein nicht inkorporiertes Außengebiet der Vereinigten Staaten. Daneben gibt es noch andere Jungferninseln in der Karibik, nämlich die Britischen und die Spanischen ­(heute Teil von Puerto Rico), die alle ihren Namen von ­Christoph Kolumbus erhalten haben und touristisch längst nicht mehr jungfräulich sind: Jährlich tauchen rund zwei Millionen Menschen in die blauen Wasser ein und bisweilen auch unter, was die zahlreichen Tauchtour­firmen abgrundtief freut – die Region ist für die USA zur tropischen Honeymoon-Destination im eigenen Land geworden, wo es sich auch gut heiraten lässt, wem es anderswo zu kühl dafür ist. Sonne und Sand, Karneval und Korallen, Fine Dining und ein wenig Caribbean Shopping. Billig ist gar nichts. Doch es gibt deutlich unerfreulichere Regionen, um Urlaub zu machen.

Zwar waren die Taino und die Kariben schon lange vorher da, doch erst 1493 gab ihnen der Seefahrer auf seiner zweiten Reise in die Neue Welt den Namen „Santa Ursula y las Once Mil Vírgenes“ (Sankt Ursula und die elftausend Jungfrauen), weil die karibische Inselwelt derart unberührt und unschuldig aussah. Das sollte sich rasch ändern: Die Urbevölkerung war bald ausgerottet, und Schmuggler und Piraten aus halb Europa segelten kreuz und quer, kaperten nach Lust und Laune und machten sich breit – selbst Dänemark, diesbezüglich historisch unverdächtig, hisste 1666 auf USVI den „Dannebrog“ (die dänische Flagge) und legte den Grundstein für die Kolonie Dänisch-Westindien, von der es sich nur um viel Geld wieder trennen ließ.

Mehr als ein paar Namen sind nicht geblieben: Frederiksted und Christiansted etwa, die historischen Hauptorte auf Saint Croix, der größten Insel. Oder die frühere Danish Mall, heute ein verriegeltes wuchtiges Kolonialgebäude an der Promenade von Saint Thomas, der zweitgrößten, gleich neben dem Rolex-Imperium – dort ist immer mehr los und Dänisch spricht niemand mehr; von ein paar Kreuzfahrtgästen abgesehen, die in offenen ­Taxi-Trucks über die Insel gekarrt werden – zur berühmten Magens Bay Beach zum Beispiel, wo es frühindianische Siedlungsreste gibt. Zu den Duty-Free-Läden am Jachthafen. Oder gleich zur Coral World, einem Vergnügungspark mit Blick auf die britischen Nachbarinseln.

USVI besteht aus den drei Hauptinseln Saint Croix, Saint John und Saint Thomas, wo sich der Hauptort Charlotte Amalie über 400 Höhenmeter die grünen Hügel hochzieht und fantastische Blicke auf die karibische Inselwelt freigibt. Davon gibt’s genug, mit türkisblauen Buchten in allen Schattierungen rundum, wo das Meer viele Farben spielt und sich Segler aus fast aller Welt ein Stelldichein geben. Europäer sind kaum mehr dabei, denn wochenlange Seefahrten sind heute nicht mehr üblich – aufpassen müssen die Yachties lediglich auf die Wasserflugzeuge, die an der Nordseite der großen Bucht von Saint Thomas ihre Landebahn haben.

„Billig ist gar nichts. Aber es gibt deutlich unerfreulichere Regionen, um Urlaub zu machen.“

Kein Wunder, dass Sir Francis Drake – hauptberuflich Freibeuter, Vizeadmiral und britischer Weltumsegler – hier hoch oben nach der spanischen Flotte Ausschau gehalten haben soll, wo heute „Drake’s Seat“ ein beliebter Sunset-Point geworden ist. Die grimmigen Neighbourhood-Watch-Schilder am Parkplatz dürfen nicht fehlen, wie auf dem amerikanischen Festland üblich. Doch die akuten Bedrohungen auf den Virgins sind überschaubar, grobe Kriminalität ist selten, was man von den regelmäßigen Hurrikans auf den Antillen leider nicht behaupten kann.

Alle Inseln von USVI zusammen sind circa dreimal so groß wie Graz. Etwa drei Viertel der Bevölkerung haben afrikanische Vorfahren, die nach dem Sklavenaufstand von 1848 – gegen die dänische Krone, wohlgemerkt – lange vom Anbau von Tabak und Zuckerrohr lebten. Man spricht Kreolisch, ein wenig Spanisch und Englisch in verschiedensten Färbungen. Und hat viel Verständnis für so manchen merkwürdigen Texaner mit Cowboyhut und Chewing Gum, solange er beim Fine ­Dining im Crown Bay Center das Fischmesser richtig benutzt, das hier selten aus Plastik ist, wie fast alles ­Besteck in den USA. USVI haben Stil.

Amerika hat es hier immer gut gefallen, lange bevor Shorts (bevorzugt mit Palmenaufdruck), Sommerkleidchen (beliebt in Mint und Lavendel) und Strohhüte (mit oder ohne Blume) das koloniale Straßenbild von Charlotte Amalie prägten – der Name einer dänischen Königin. So gut, dass man die kleine Inselgruppe zwischen Puerto Rico und Anguilla unbedingt haben wollte, fast um jeden Preis. Man hat sie bekommen, doch das hat gedauert. Marinestützpunkte in der Karibik sind Gold wert. Und so wurden bereits in den 1860er-Jahren, rund um den amerikanischen Bürgerkrieg, Verhandlungen mit Dänemark geführt, um hier einen sicheren Kohlenachschub für US-amerikanische Handels- und Kriegsdampfschiffe aufzubauen. Siebeneinhalb Millionen Dollar in Gold hätte die dänische Krone kassiert, wäre der Wert der Inselwelt nicht dummer­weise in einem einzigen Jahr durch Tsunamis, Erdbeben, Hurrikans und ein verheerendes Großfeuer zusammengebrochen, ganz ohne Wirtschaftskrise. Der Deal wurde erst 50 Jahre später perfekt: 1917 kauften die USA die Insel Saint Thomas zusammen mit Saint John und Saint Croix für 25 Millionen US-Dollar (heute 460 Millionen Euro, inflationsbereinigt), um deutsche U-Boote in den vielen unzugänglichen Buchten legal zu bekämpfen. Seit 1927 hat jeder Einwohner das Recht auf die US-Staatsbürgerschaft. Während des Zweiten Weltkriegs dienten die Inseln als Militärbasis. Und seit 1972 entsenden die Virgin Islands einen Delegierten in das Repräsentantenhaus, der allerdings kein Stimmrecht hat, welcher Partei immer das helfen mag.

Tourismus sorgt hier jedenfalls für mehr als 70 Prozent des Bruttosozialprodukts und fast 80 Prozent der Arbeitsplätze – endlich wieder, nach zwei dürren Jahren der Pandemie. Immer mehr kommen mit Kreuzfahrtschiffen, fast wie früher. Allein im Juni 2022 ankerten 60 dieser schwimmenden Luxushotelburgen in der Bucht von Saint Thomas, fast mit Blick auf den Virgin-Islands-­Nationalpark auf den Nachbarinseln Saint John und­ ­Hassel. Blackbeard und Bluebeard, zwei legendäre Piraten des 17. Jahrhunderts mit eigenen kleinen Burgen in ­Charlotte Amalie, hätten auf jeden Fall ihre helle Freude gehabt – ab und zu fette Beute kann nicht schaden. Es müssen­ ja ­keine Dänen sein. Enjoy the Islands!

 

Zum Weitersurfen:

visitusvi.com
caribbean-embassy.de › us-virgin-islands