Muss denn Essen Sünde sein? So der Titel des neuen Buches von Hanni Rützler. Eine Orientierung im Dschungel der Ernährungsideologien und eine Abrechnung mit der herrschenden Verbotskultur.
Als durchschnittlicher Konsument hat man oft den Eindruck, Essen sei nicht mehr bloße Nahrungsaufnahme, sondern fast schon ein ideologisches Statement. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Hanni Rützler: Mein Eindruck ist, dass wir bereits seit mehreren Generationen im Lebensmittelüberfluss leben und trotzdem noch nicht richtig wissen, wie wir damit umgehen sollen. Das führt zu unterschiedlichen Entwicklungen. Einerseits zu mehr Genuss, andererseits zu Ernährungsideologien, die sehr radikal und moralisch aufgeladen sind. Diese Entwicklung versuche ich auch in meinem Buch zu beschreiben. Persönlich plädiere ich für mehr Genuss und Lebensfreude und weniger Diskussionen ums Essen. Die Zutatenliste sollte nicht die einzige Orientierungsgröße sein, die wir in Betracht ziehen.
Ist unser mittlerweile fast schon schlechtes Gewissen in Bezug auf den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten gerechtfertigt?
Ich finde es wichtig, vor allem auf die Qualität des Fleisches zu achten und nicht permanent auf den Preis zu schauen. Daneben bemerke ich aber auch eine zunehmende moralische Überheblichkeit derjenigen, die kein Fleisch und keine tierischen Produkte essen. Man kann auch Fleisch essen, ohne als Mörder diffamiert zu werden. Es sollte einem aber nicht egal sein, was man isst. Es gibt ja verschiedenste Formen der Tierhaltung und man sollte sich den bewussten Genuss nicht versagen.
Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, wenn es um neue Trends in Sachen Nahrung und Genussmittel geht?
Ich glaube, dass Frauen eher dazu neigen, sich bewusst mit der Ernährung auseinanderzusetzen. Das hat nicht zuletzt auch mit historischen Rollenbildern zu tun. Mit dem steigenden Wohlstand wurde das Versorgungskochen jedoch deutlich in den Hintergrund gedrängt. Es stimmt, dass Frauen mit Nahrungsmitteln bewusster und auch erfahrener umgehen. Mit dem Wegfall der Versorgungsfunktion ist aber der Anteil an kochenden Männern deutlich gestiegen. Noch in den 1970er Jahren war ein Mann mit Schürze in der Küche Grund für Gelächter. Mittlerweile ist das aber ziemlich cool, nicht zuletzt weil Typen wie Jamie Oliver diese Coolness verkörpern.
Einerseits gibt es immer mehr Kochbücher und Kochsendungen, andererseits wird zu Hause immer weniger gekocht. Warum ist das so?
Es ist unbestreitbar, dass heute in den Haushalten deutlich weniger gekocht wird. Das hat unmittelbar mit unseren Lebensgewohnheiten und unserer veränderten Arbeitswelt zu tun. Nur zwei- bis dreimal in der Woche zu kochen statt täglich, verändert alles, nicht nur das Einkaufsverhalten. Das Kochen wird vom Muss zum sinnlichen Erlebnis. Kochbücher sind da wie das Flanieren in einer Einkaufsstraße. Man blättert, erfreut sich an den Bildern und lässt sich inspirieren.
Fast Food versus Haubenküche. Wohin geht die Entwicklung?
Vor allem der Anteil an Convenience-Food-Produkten ist massiv größer geworden. Das heißt aber nicht, dass dies eine generelle Entwicklung ist. Dieser Trend setzt sich möglicherweise auch nur in bestimmten Lebensphasen durch. Vor allem bei jenen Bevölkerungsschichten, die nicht so wohlhabend sind, werden auch Convenience-Produkte als Genuss und Luxus wahrgenommen, weil das Kochen als nicht so angenehme Notwendigkeit gesehen wird. Fast-Food-Ketten und Fertigpizzen sind da schon interessante Alternativen. Diese Entwicklung hat natürlich auch mit dem Einkommen zu tun.
Hanni Rützler
ist Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin und eine renommierte Food-Trend-Expertin. Internationale Aufmerksamkeit erlangte die Autorin zahlreicher Bücher über Esskultur und die Zukunft unserer Ernährung (u. a. „Food Change. 7 Leitideen für eine neue Esskultur”) durch die weltweit erste Verkostung eines In-Vitro-Burgers 2013 in London.
www.futurefoodstudio.at
Buchtipp
Hanni Rützler, Wolfgang Reiter:
Muss denn Essen Sünde sein?
Orientierung im Dschungel der Ernährungsideologien
Brandstätter Verlag, 19,90 Euro
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