Im Paúl-Tal von Santo Antão gedeihen Bananen, Kaffee und Zuckerrohr: Eine Wanderung durch das grünste Tal der Kapverden.
Limo und Fatima Vaz del Gado haben aufgetischt, was die kleinen Felder und Terrassen, auf denen sie Obst und Gemüse anbauen, hergeben: Yams, Süßkartoffeln und gebackene Bananen. Dazu gibt es Fisch. All die Köstlichkeiten hat Marlina dos Reis zubereitet, eine Cousine. Gekocht hat sie in einer dunklen Küche eines kleinen Steinhauses, zum Teil auf Holzfeuer, zum Teil mit einem Gasbrenner. Das Wasser hat sie vorher zu Fuß von einer nahe gelegenen Quelle geholt. Als wir die Familie um 13 Uhr besuchen, steht sie bereits seit drei Stunden am Herd. Haus und Flip-Flops trägt, bringt selbst gebrannten Zuckerrohrschnaps, auf den Kapverden „Grogue“ genannt, als Aperitif. Nach der Mahlzeit, die wir im Freien einnehmen, serviert seine Frau Fatima den Kaffee – eine Kreuzung aus „Robusta“ und „Arabica“, der von der Familie selbst angebaut und kurz vor unserem Besuch frisch geröstet wurde. Den fein gemahlenen Kaffee übergießt Fatima mit heißem Wasser und wartet bis sich das Pulver absetzt. Schon nach dem ersten Schluck ist klar: Dies ist der beste Kaffee, den ich jemals getrunken habe. Nach der vierten Tasse, als wir aufbrechen und weiter wandern, bin ich davon noch immer überzeugt. Wenige Minuten später stehen zwei Mädchen am Rand des Weges, der durch mannshohe Zuckerrohrstauden und später auf felsigem Untergrund bergab führt. Sie verkaufen frisch gemahlenen Kaffee, in transparente Plastikbeutel verpackt. Das intensive Aroma der fein gemahlenen Bohnen kann keine Folie stoppen – es duftet phantastisch. Leider haben sie nur drei Tüten dabei. Jede kostet 350 Escudos, das sind etwa 3,5 Euro. Auf den Kapverden ist das gar nicht wenig Geld – doch für den besten Kaffee der Welt ist es ein Spottpreis.
Es duftet nach Eukalyptus, Lavendel und sogar Lotusblüten: Santo Antão – Insel der Berge, der Winde, des Wassers.
Kohl, Karotten und Kaffee
Das Paúl-Tal, in dem die Familie Vaz del Gado wohnt, ist das fruchtbarste Tal der Kapverden. In den schroffen Bergen im Nordosten der Insel Santo Antão fangen sich die Wolken, sodass es hier mehr Wasser gibt als andernorts. Denn rein geographisch gehören die 15 kapverdischen Inseln, von denen neun bewohnt sind, zur Sahelzone – und die ist bekanntlich alles andere als grün. Im Paúl-Tal hingegen legen die Bewohner kleine Terrassen an und pflanzen Kohl, Karotten und Tomaten.
Die meisten Bauern sind allerdings nur Pächter, das Land gehört vor allem Großgrundbesitzern, die zum Teil im Ausland leben. Aus diesem Grund, so berichtet die Wanderführerin Hetty Guddens, ist das Paúl-Tal zwar das fruchtbarste Tal der kapverdischen Inseln, gehört aber trotzdem gleichzeitig zu den ärmsten Gegenden.
Während unserer Wanderung durch das Tal begegnen wir so gut wie keinen anderen Touristen, dafür immer wieder Einheimischen, die uns freundlich begrüßen. Etwa Maria Joana und Thomas Andrat, die mit ihren zehn Kindern in zwei bescheidenen Hütten wohnen – und die von der Landwirtschaft und vom Verkauf kleiner Körbe und Flechtarbeiten leben. Seit dem Jahr 2011, so berichten sie stolz, sind ihre Hütten ans Stromnetz angeschlossen. Während unseres Besuchs kümmert sich Maria Joana gerade um die Wäsche, die sie mühsam per Hand bearbeitet. Gleich nebenan treffen wir eine freundliche Frau, die eine Schale mit Kaffeebohnen auf einem offenen Holzfeuer röstet. Im Gegensatz zu den Andrats, die in zwei bescheidenen Steinhäusern leben, ist ihr kleines Hüttchen nur aus Holz.
Neben Kaffee ist Zuckerrohr eine der wichtigsten Nutzpflanzen im Paúl-Tal. Genossen wird es in der Regel nicht zuckersüß, sondern hochprozentig: Vergorenen Zuckerrohrsaft, der mehrere Tage im Holzfass gelagert wurde, destillieren die Einheimischen zu Rum. In der Brennerei Pinto & Pinto, auf die wir bei unserem Rückweg aus dem Paúl- Tal stoßen, erfahren wird, dass nur von Januar bis Juli gebrannt wird – und dass ein Teil des Destillats anschließend noch etliche Jahre in Holzfässern lagert, die vorher für Portwein genutzt worden sind. So entsteht der so genannte alte Grogue. Er ist nicht transparent, sondern gelblich. Eine Mitreisende ist so begeistert, dass sie gleich eine Flasche kaufen möchte – doch der Verschluss ist nicht hundertprozentig dicht. Kein Problem, meint Wanderführerin Hetty Guddens. Sie verschweißt die Folie, die den Flaschenhals überzieht und die das Heraustropfen des Inhalts verhindern soll, kurzerhand mit heißer Luft aus einem Haarföhn. Auf den Kapverden weiß man zu improvisieren. Als sich die Sohle meines Wanderschuhs fast abgelöst hat, gelingt es einem Schuster im Küstenort Vila das Pombas aus einem alten Reifengummi eine Ersatzsohle zu basteln, mit der ich die weiteren Wanderungen problemlos überstehe.
Man begreift, wie gerade diese Erde die Bevölkerung geformt hat und ihr unsagbare Kraft und ewige Hoffnung abverlangt hat.
Die „Kuhzunge“ hilft gegen Husten
Santo Antão, die zweitgrößte Insel der Kapverden, liegt ganz im Nordwesten des Inselstaats und ist die beliebteste Wanderinsel der Kapverden. Bergführerin Hetty Guddens, eine Kapverdierin, die in Vila das Pombas auf Santo Antão lebt, aber in Holland geboren wurde, kennt die schönsten Wege und Pfade, aber auch die verschiedenen Pflanzen. Mal entdeckt sie am Wegrand einen Guavenbaum und pflückt gleich eine reife Frucht, mal findet sie Heilkräuter wie die „Kuhzunge“, die bei Husten und Asthma helfen soll. Kurz darauf zeigt sie uns eine violette Pflanze, die ein bisschen aussieht wie der „Fingerhut“. „Contra bruxas azul“, so heißt dieses endemische Gewächs, das vor Hexen schützen soll. Dabei kuriert die Pflanze eigentlich nur Durchfall. Doch weil früher viele Kinder auf der Insel an den Folgen von Diarrhö starben und diese auf Hexerei zurückgeführt wurde, sah man ihre Kraft vor allem darin, dem bösen Wirken von Hexen entgegenzuwirken.
Eine weitere Wanderung führt uns von Corda nach Figueiral und Cuculi. Bei unserem Abstieg, auf dem wir etwa 800 Höhenmeter überwinden, genießen wir den Blick über das Ribeira Grande-Tal – und finden eine Stelle mit Obsidian-Vorkommen. Die schimmernden schwarzen Schmucksteine sind, wie die gesamten kapverdischen Inseln, vulkanischen Ursprungs. Ein Stück weiter zeigt uns Hetty Guddens eine Jatropha-ähnliche Pflanze, die Pulgeira oder Purgiernuss. Aus ihr gewinnt man Heilöl, aber auch Seife und Kerzen. Hettys Medizin- und Pflanzen-Lehrstunde könnte noch weitergehen, doch bald haben wir das Tal erreicht.
Wandern macht hungrig – und statt bei Limo und Fatima Vaz del Gado im Paúl-Tal sind wir heute bei Mité und Banana im „Chã de Igreja“ zu Gast. Ihr kleines, familiäres Restaurant öffnet nur auf Voranmeldung: Zu Hühnchen und Fisch reichen sie Maniok, Süßkartoffeln und Kohl.
RAINER HEUBECK
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Kapverdische Inseln
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