624 Millionen Kaffeebäume, 21 Sprachen und eine vergessene Hochkultur: Guatemala, das Land der Maya, bezaubert auch heute noch.
20 Millionen Maya besiedelten von 300 bis 900 n. Chr. die Tiefländer vom mexikanischen Yucatán bis hinauf in die Hochebenen des Petèn: Kein anderes Volk im präkolumbischen Amerika verfügte über derart ausgefeilte Schrift- und Zahlensysteme und astronomische Kalender. Die hohepriesterliche Gesellschaft geriet jedoch bald in Vergessenheit. Die steinernen Städte in der siebtgrößten Regenwaldreserve der Welt schluckte der Dschungel, bis Colonel Modesto Méndez 1848 die überwachsenen Pyramiden von Tikal wiederentdeckte, die nur mehr als steile Hügel erkennbar waren.
Geschichtsträchtiges Guatemala
1523 jedenfalls war die Hochblüte der Maya-Zeit lange schon vorüber. Die spanischen Conquistadores hatten leichtes Spiel: Pedro de Alvarado genügten 120 Reiter, vier Geschütze und einige Tausend zwangsrekrutierte Indios, um der spanischen Krone eine weitere amerikanische Kolonie zu erschließen. Antigua Guatemala, die alte Hauptstadt, war mit 80.000 Einwohnern zwei Jahrhunderte das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des gesamten Subkontinents: Die koloniale Pracht auf lokale Kosten von „Muy Noble y Muy Leal Ciudad de Santiago de Los Caballeros de Goathemala“, wie Antigua genannt wurde, währte immerhin bis zum großen Erdbeben 1773, das die Missionare als Strafe für ausschweifenden Lebensstil und moralische Verderbtheit verdammten.
In den verwinkelten Gässchen am Fuße dreier Vulkane scheint bis heute die Zeit stillzustehen – trotz Pollo-Con-Papas-Buden, wo Hühnchen mit Pommes gereicht werden, und Mercado Central, wo es ohne Handeln keinen Handel gibt. Nicht einmal die batteriebetriebenen Sprechpüppchen in Indigena-Tracht gleich hinter dem mächtigen Ananashaufen auf einem chromblitzenden Chevrolet der Ära John Boy Walton vermögen den Zauber des Bergstädtchens zu brechen, wo fast 70 Sprachschulen nicht nur spanische Lebensart vermitteln.
Seit 1821 ist Guatemala unabhängig und kommt dennoch nicht zur Ruhe. Europa und Amerika wollten Kaffee und Bananen und haben sie auch bekommen. Die amerikanische „United Fruit Company“, Vorläufer von Chiquita und Del Monte, sah sich – mit wohlwollender Unterstützung amerikafreundlicher Potentaten – bald im Besitz von 225.000 Hektar Grund. Der Konzern wurde zum Staat im Staat und sponserte hastig Ausgrabungen vergessener Maya-Stätten, um sein Image der Ausbeutung zurechtzurücken.
Im Herzen der grünen Wildnis
Reisen in den Dschungeln an der mexikanischen Grenze haben immer noch den Reiz der Ungewissheit. Überfälle – auch auf Tourgruppen – geschehen selten, dafür regelmäßig, trotz unzähliger Checkpoints martialischer Polizeischwadronen: „Narcotrafico. Patrullo di policia“ steht auf den Jeeps. Ob hier Drogen gesucht oder gehandelt werden, wissen wohl nur die Götter. Die dunkelgrünen Wälder dort waren immer schon Schlupflöcher für allerlei buntes Volk – hier liegen die Maya-Ruinen von Tikal, „dem Ort der Geisterstimmen“, einst Heimat einer halben Million Maya und heute Ziel von Millionen von Besuchern.
Tagsüber scheint wenig geblieben vom Glanz der alten Zeit, Grabräuber haben ganze Arbeit geleistet und höchstens ein Viertel der alten Metropole ist überhaupt geortet. Doch selbst was bleibt, ist dramatisch genug, eine schläfrige Akropolis im Dschungel.
Früh am Morgen, wenn sich die Sonne langsam über die Nebel hebt, erwacht die Geisterstadt zum Leben: Magische Hieroglyphen und schaurige Masken. Rudel von Pizoten, hundeartige Nagetiere, am Jaguartempel. Brüllaffen und taufeuchte Wiesen, wo einst rituelle Ballspiele auf Leben und Tod stattfanden. Spätestens gegen Mittag picknicken dort halbnackte Horden von Abenteurern auf Zeit und nutzen die Kultstätten zu kühnen Kletterpartien in den Steinpyramiden der Mundo Perdido. Verlorene Welt? Die Hohepriester von heute tragen jedenfalls Birkenstock und kakifarbene Survival Shorts. Mayamania auf Crashkurs, möchte man fast meinen.
Karibische Überraschung
Der Gringo-Trail nach Süden ist mittlerweile ausgetreten: Fünf Stunden Camioneta, so heißen die lokalen Minibusse hier, dauert es nach Rio Dulce am Lago Izabal. Zufällig stehen bereits die Boote für den vierstündigen Flusstrip nach Livingston bereit, eine pittoreske Sammlung bunter Stelzenbuden an karibischen Palmenstränden: eine Enklave der karibischen Welt der Garifunen, Nachfahren der westindischen Sklaven, wo pan de coco (Kokosbrot) und tapado (Meeresfrüchtesuppe) auf diejenigen warten, die ein wenig Abwechslung in das alltägliche Frijoles-Einerlei bringen wollen. Das sind Bohnen, die es bereits zum Frühstück gibt. Und auch danach zu jeder Mahlzeit.
Gut drei Stunden nordwärts warten die Indios auf den bunten Märkten von Chichicastenango und San Pedro am Lago de Atitlán, die mit den Gringos rundum längst zu leben gelernt haben. Marimba liegt in der Luft, Ethnokitsch auf den Tresen, original Ethnoschmuck darunter, und die meisten Maya-Relikte wieder im Museum. Rituelle Opferungen sind selten geworden und Gringos selten betroffen. Ob gottgleiche Maya-Könige wie Waxaklajuun Ub’aah K’awiil, besser als „18 Kaninchen“ bekannt, mit Chiquita-Bananen gehandelt hätten, bleibt im Dunkeln. Und die zehn Hühnerkörbe und vier Bohnensäcke in der Camioneta nach Antigua Guatemala, denn Sprachschüler sind notorisch hungrig. Mensch Maya noch mal: Nicht jeder hier ist zum König geboren.
GÜNTER SPREITZHOFER
Mehr Informationen
Keine Visumspflicht für EU-Bürger.
Reisezeit: niederschlagsreiche warme Sommer (Hurrikan-Gefahr), trockenere Winter.
Klima und Vegetation: tropisch schwül bis gebirgig kühl.
Wohnenswert: Luxusabsteigen in Antigua, Panachajel/Lago de Atitlán, Tikal. Einfach(st)e Herbergen und Hotels in allen größeren Orten, ab 3 Euro.
Attraktiv: Maya-Ausgrabungen in Nordguatemala, Belize und Honduras, Lago de Atitlán (Vulkansee), Indio-Märkte in Chichicastenango und Umgebung, Antigua Guatemala (Weltkulturerbe); Karibikküste.
Beitragsbild: Mesa Studios/Shutterstock