Durch die Karibik segeln – der Sonne entgegen

Ewiger Sommer, den Wind um die Nase, vor dem Bug nichts als karibisches Meer. Zwei Grazer leben diesen Traum in der Karibik – am eigenen Segelschiff.

„Auf dem Schiff leben wir ein sehr einfaches Leben. Aber es geht uns nichts ab. Unser Luxus ist die Freiheit.“ Wenn Uschi Frei von ihren Segelreisen erzählt, leuchten ihre Augen wie die eines jungen Mädchens. „SY Santina“ haben sie ihr Schiff getauft. „Das kommt von Sandra und Martina – so heißen unsere Töchter“, erzählt uns die 53-Jährige. Als ihre Kinder erwachsen waren, packte sie und ihren Mann Norbert, einen selbstständigen Architekten aus Graz, das Segelvirus und ließ die beiden nicht mehr los. „Zuvor waren wir viel mit dem Campingbus unterwegs, das hat irgendwann nicht mehr gereicht, um unser Fernweh zu stillen.“ Nach einigen Törns in Kroatien, Griechenland und Italien bricht Norbert Frei 2007 gemeinsam mit zwei Freunden zur ersten großen Fahrt mit der „SY Santina“ auf. Ausgehend von Teneriffa segelt das Männertrio rund 3000 Seemeilen quer über den Atlantik bis zur karibischen Inselgruppe der Kleinen Antillen. Auf Barbados betreten Norbert Frei und seine Crew nach knapp drei Wochen erstmals wieder festen Boden. Auf der Nachbarinsel Martinique kann ihn seine Frau wieder in die Arme schließen. Drei Monate bleiben die beiden auf der Insel und sind sich einig: Wir hängen noch eine Saison dran. Die Leidenschaft fürs Segeln in der Karibik ist ein für alle Mal entfacht. Und aus einer Saison werden acht Jahre.

KaribikFrau_300Acht Jahre, in denen Uschi und Norbert jedes Jahr drei bis vier Monate auf großer Fahrt sind. Wenn die beiden Steirer den Flieger Richtung Sonne besteigen, herrscht hierzulande meist nasskaltes Allerheiligenwetter. „Für die Karibik ist das die beste Jahreszeit, weil dann die Hurrikansaison vorbei ist.“ Über die Jahre hat das Ehepaar all die Inseln gesehen, deren Namen einen sehnsuchtsvoll an braunen Rum, türkises Wasser und Sand zwischen den Zehen denken lassen: Trinidad, Tobago, St. Lucia, Martinique, Antigua, Guadeloupe, St. Barth und viele mehr. Zu entscheiden, was davon am schönsten war, falle schwer, meint Uschi Frei. Vielleicht das ohrenbetäubende Vogelgezwitscher bei Sonnenuntergang, das Kreischen von wilden Affen oder beim Schnorcheln vor Pelican Island zwischen den Feuerkorallen Zebrafische zu beobachten. „Vor der Smaragdinsel Montserrat konnten wir vom Schiff aus die Eruptionen des Vulkans Souvrière beobachten. Der Schwefelgeruch war auch bei uns an Bord zu riechen.“ Überhaupt habe sie zur Natur einen anderen Zugang bekommen. „Ich habe noch nie so schöne Regenbögen gesehen wie in der Karibik.“ Das sind Erlebnisse, die sie für immer im Herzen trägt.

Die Dinge einfach mal lockerer sehen

Neben der Natur sind es vor allem die Begegnungen mit Menschen, die ihre Art zu reisen zu etwas Besonderem machen. Viele von den Yachties, wie sich die Community der Segler aus aller Welt nennt, sind zu Freunden geworden. Auch mit Einheimischen sind Freundschaften entstanden. In Kolumbien haben 60 Prozent der Bevölkerung kein Licht und kein fließendes Wasser, dennoch sei die Freundlichkeit der Menschen beispielhaft. „Jeder grüßt dich, fragt dich, woher du kommst und ob du Hilfe brauchst.“ So eine zufällige Begegnung mündet dann nicht selten in eine Einladung zum Essen bei sich zu Hause. „Undenkbar bei uns in Österreich, oder?“, lacht Uschi Frei. „Wir können von diesen Menschen so viel lernen!“ Zum Beispiel die Dinge ein bisschen lockerer zu sehen. „Es muss nicht immer alles gleich und sofort passieren.“ Und mitunter wird einem auf so einer Reise auch die Perspektive zurechtgerückt: „Wenn du auf dem Markt plötzlich merkst, dass du der einzige weiße Mensch bist, aber jeder hilfsbereit und nett zu dir ist, dann wird dir bewusst, was es heißt, irgendwo fremd zu sein.

Norbert Frei

„Unsere Reisen haben mich verändert. Ich gehe jetzt mit viel offeneren Augen durch die Welt – fast wie ein Kind, das bei einem Spaziergang alle paar Meter stehen bleibt.“

 

 

 

Wenn man längere Zeit in der Karibik unterwegs sei, werde man auch zwangsläufig kritischer, sehe nicht mehr nur die Strand- und Palmenidylle. Auf den San-Blas-Inseln vor Panama, einem Archipel von fast 400 winzigen Inseln trafen Uschi und Norbert auf die Kuna-Yala-Indianer, die hier vor einigen Jahren noch weitgehend nach ihren traditionellen Stammesriten lebten. Mittlerweile hat in ihrem Paradies die Zivilisation Einzug gehalten. Der Tourismus sickere langsam ein und nicht jeder bringe den nötigen Respekt für die indigene Bevölkerung mit. Auch das Müllproblem sei nicht mehr zu übersehen. „An den Stränden wird jede Menge Plastik angespült.“ Das tue ihr in der Seele weh, sagt Uschi Frei.

Auch das Leben an Bord habe sie verändert, sagt sie. Wenn man monatelang auf einem nur 13,5 Meter langen Schiff zusammenlebt, werden andere Dinge wichtig. „Gutes Wetter, eine Mahlzeit am Tag, dass man schlafen kann.“ Weil es gerade auf den kleineren Inseln nicht immer ein Geschäft gibt, ist man mitunter auf die Boat Boys angewiesen, die aus ihren Kanus heraus Bananen, Grapefruits oder Passionsfrüchte verkaufen. Manchmal gibt es auch Bier. „Wenn man Pech hat, gibt es gar nichts mehr. Ich habe gelernt, dass ich mit sehr wenig auskommen kann.“

„Da draußen am Meer bekommst du ein Gefühl, wie klein du bist. Da lernt man Respekt vor der Natur. Und du musst dich aufeinander verlassen können.“

Norbert FreiDer Lebensrhythmus werde beim Segeln vom Meer vorgegeben. Auch wenn die „SY Santina“ mit vielen technischen Finessen ausgestattet ist, wechseln sich die beiden alle drei Stunden bei der Nachtwache ab. „Sicher ist sicher.“ Doch obwohl sie und ihr Mann dieselbe Segelausbildung haben, hat an Bord nur einer das Sagen: „Er ist der Kapitän und ich würde nie eine seiner Entscheidungen infrage stellen.“ Ist es denn nicht manchmal beengt, zu zweit auf so engem Raum? „Für uns ist es selbstverständlich und wunderschön. All die Dinge, die wir zusammen erlebt haben – so etwas schweißt zusammen.“ Ob es für die beiden denn infrage käme, ganz aufs Schiff zu ziehen und alles hinter sich zu lassen, wollen wir zum Abschluss des Gespräches wissen: Nein. „Ich brauche dieses Gefühl, nach Hause zu kommen und den Schlüssel in der Tür umzudrehen. Österreich wird immer meine Heimat bleiben.“

„Am Schiff beschränkt sich das Leben auf ganz einfache Dinge: gutes Wetter, eine Mahlzeit am Tag und dass du schlafen kannst.“

„Die Seefahrt ist nicht nur eine Lebensweise, sie ist die Grundlage einer Lebenssicht. Zur See zu fahren, bedeutet, ständig mit dem Wandel zu leben, niemals etwas als selbstverständlich vorauszusetzen, immer aufs Neue Lektionen in Demut zu empfangen, weil man die See nie beherrschen kann, weil man immer in Gefahr ist. Wenn man auf See ist, erfährt man die wahre Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit des Menschen. An Land hält man sich stets für wichtiger, als man tatsächlich ist. Man versucht, Spuren zu hinterlassen, im Bewusstsein anderer und vor dem, was man für die Ewigkeit hält. Auf See sieht man ein, wie sinnlos das ist. Wenn ein Schiff vorübergezogen ist und das Kielwasser sich wieder beruhigt hat, ist alles so wie zuvor. Die See liefert nicht nur die Leitlinie, wie man an das Geschäft des Lebens gehen sollte. Sie lehrt noch mehr: die Ethik, die unseren Umgang mit anderen Menschen bestimmen sollte.“

CLAUDIA PILLER-KORNHERR

www.santina-austria.at

 

Beitragsbild: Norbert Frei