Ein Abflug mit Wehmut

Ein Abflug mit Wehmut
Nach über 21 Dienstjahren am Flughafen Graz verabschiedete sich Direktor Gerhard Widmann Ende 2020 in die Pension. In seinem Koffer: Erinnerungen, Bilanzen und ein wenig Wehmut.

Wie beginnt man in Coronazeiten ein Interview mit einem scheidenden Flughafendirektor an einem nahezu menschenleeren Flughafen? Man beginnt einfach. Und erinnert sich gemeinsam an die glanzvollen Momente, an die Meilensteine und Kieselsteine einer Karriere, an das, was war, und das, was bleibt.

Sie hauen  nicht in Krisenzeiten den Hut drauf, sondern verabschieden sich demnächst in die wohlverdiente Pension. Wie geht es Ihnen dabei, Herr Widmann?

Dalai Lama in Graz

„Der Dalai Lama trug zwar Rot, hat sich aber an keinen roten Teppich gehalten”, erinnert sich Widmann. | Foto: Flughafen Graz

Ich bin ein Mensch, der keiner Phase seines Lebens ewig nachtrauert und mit Dingen gut abschließen kann. Loslassen fällt mir grundsätzlich nicht schwer, aber angesichts der Coronakrise löst dieser Abschied nun doch gemischte Gefühle in mir aus. Es ist offensichtlich, dass der Flughafen Graz in nächster Zeit mit  Wachstumsverlusten konfrontiert sein wird. Die Digitalisierung, die durch die Covid-19-Pandemie einen enormen Schub erlebt hat, wird sicherlich langfristig  Flüge ersetzen. Dennoch halte ich daran fest, dass Videokonferenzen und ähnliches echte Begegnungen face-to-face nicht gänzlich kompensieren können und Fliegen für die Entwicklung der Menschen wesentlich bleibt.

Was fasziniert Sie am Abheben und Fliegen?

Fliegen verbinde ich mit Wirtschaft und Tourismus, mit Begegnungen, Kulturaustausch u. v. m. Ich liebe Graz, ich liebe die Steiermark, aber der unmittelbar erlebbare Dialog mit dem Fremden und noch Unbekannten bereichert die eigene Welt und eröffnet gleichzeitig neue Perspektiven. Für mich ist das nur mittels Flugverkehr bzw. mit uneingeschränkter Reisetätigkeit sinnvoll denkbar.

Seit 21 Jahren verbinden viele den Flughafen Graz mit Ihrem Namen. Erinnern Sie sich noch an Ihre Anfänge hier?

Politelite

Politelite: Gerhard Widmann begrüßte mit der ersten Landeshauptfrau der Steiermark, Waltraud Klasnic, den deutschen Politiker und ehemaligen Bundespräsidenten Helmut Kohl | Foto: Flughafen Graz

Ich war zuvor viele Jahre im Bundeskanzleramt, im Verkehrs- bzw. Finanzministerium tätig. Ich habe Bundeskanzler Bruno Kreisky in seinen letzten Jahren erleben dürfen – eine spannende Zeit. Als ich dann in die Steiermark zurückgekehrt und 1999 zum Geschäftsführer bestellt worden bin, stand ich erstmals selbst in der ersten Reihe. Das war und ist beruflich gesehen sehr prägend.

Was sind Ihre persönlichen Highlights der letzten zwei Jahrzehnte?

Jede Investitionsphase war in meinen Augen ein Meilenstein. Der Bau des neuen Towers 2002, der Ausbau des Fluggastgebäudes und die neue Abflughalle 2005, die Eröffnung des SPAR-Supermarkts oder der millionste Passagier, den wir bereits 2008 verbuchen konnten. 2019 konnten wir mit einem neuen Passagierrekord die Millionengrenze  das dritte Mal überschreiten. Wir sind übrigens bei jedem Bauvorhaben im budgetierten Investitionsrahmen geblieben. Auch neue Destinationen für Wirtschaft und Tourismus sowie neue Fluglinien, die in Graz starten, waren und sind immer ganz besondere Highlights gewesen!

Neben all dem Schönen gab es auch Krisen – etwa 9/11 oder ganz aktuell die weltweite Covid-19-Pandemie …

9/11 haben wir relativ schnell überwunden. Auch die Wirtschaftskrise 2008 hat Spuren hinterlassen. Dass der Passagierrückgang von fast sechs Prozent damals vergleichsweise gering ausgefallen ist, konnte in erster Linie auf die Einführung neuer Linien sowie den Ausbau bestehender Verbindungen zurückgeführt werden. Uns ist es gelungen, immer sehr gute Ergebnisse einzufahren und darauf bin ich sehr stolz. 2020 werden wir allerdings das erste Mal Verluste zu vermelden haben. Das Management der Krise haben wir aus meiner Sicht gut gemeistert und meistern es noch. Wir bleiben zuversichtlich!

Wie sieht es am Flughafen Graz in 21 Jahren aus?

Auch wenn ich eine Dezimierung der Regionalflughäfen befürchte, wird sich der Flughafen Graz wieder positiv positionieren. Gründe dafür gibt es viele: die stark exportorientierte Wirtschaft der Steiermark, der Outgoing- und Incoming-Tourismus und die Tatsache, dass Graz und die Steiermark wunderschöne Hotspots sind. Graz ist ein stark wachsender  Wirtschaftsraum, deshalb rechne ich auch langfristig wieder mit einem Anstieg der Passagierzahlen. Die ideale Verkehrsanbindung an A 2, A 9 und Koralmtrasse macht den Flughafen Graz zukunftssicher. Wenn der Ausbau der Bahnstrecke weiter fortschreitet, kann ich mir gut vorstellen, dass wir neben der Südbahn auch an die Koralmbahn mit einer eigenen Bahnstation angeschlossen werden.

Sie sind nahezu 365 Tage im Jahr im Betrieb zugegen. Was werden Sie in Ihrer Pension am meisten vermissen?

Ritiro AS Roma

Gerhard Widmann ist ein sportbegeisterter Mensch. Besuche am Flughafen Graz wie der des Fußballklubs AS Roma zählen zu seinen persönlichen Highlights in seiner Berufsbiografie. | Foto: Carlo Baroncini

Der Flughafen Graz ist nicht irgendein Unternehmen. Er ist „unser Flughafen Graz“. Ich habe wahnsinnig tolle Mitarbeiterinnen und  Mitarbeiter, die gemeinsam mit mir mit viel Begeisterung und großem Einsatz unseren steirischen Flughafen weiterentwickelt haben und selbst nach Jahrzehnten noch immer fasziniert sind von den abhebenden Flugzeugen in alle Welt. Ich schätze es sehr, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Werte dieses Unternehmens transportieren. Ich bin ein leistungsorientierter Mensch und es ist mir bewusst, dass ich immer viel gefordert habe. Gemeinsam haben wir viel gestaltet und erreicht.

Haben Sie schon ein endgültiges Abschiedsszenario am Ende des Jahres vorbereitet?

Ich bin in den letzten 21 Dienstjahren auch immer zu Weihnachten und Silvester vor Ort gewesen. Ich gehe dann durch das Gelände und wünsche allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Glück und viel Gesundheit (Anmerkung einer Mitarbeiterin: Gerhard Widmann kennt alle im Unternehmen Tätigen – vom Gärtner bis zum Vorfeld-Mitarbeiter – namentlich). All die Jahre habe ich das mit Handschlag gemacht. 2020 muss ich mich wohl auf buddhistisches Nicken beschränken. Aber da die Begegnung mit  dem Dalai Lama am Rollfeld in Graz zu meinen Highlights zählt, werde ich auch das hinbekommen.

Wenn wir dann wieder können und dürfen – wohin geht der nächste Urlaub?

In meine Lieblingsstadt Berlin, nach Stockholm und sicherlich auch nach Griechenland.

TINA VEIT-FUCHS

Foto: Krug/Flughafen Graz