Orient einmal anders

Zwischen modernem Alltag und märchen­hafter Geschichte lebt in Usbekistan der Mythos der Städte Samarkand, Buchara und Chiwa weiter.

An der Seidenstraße, dort wo einst die großen Karawanen auf ihrem Weg von China nach Europa Station machten, dort wo die bunt verzierten Moscheen, Minarette, Mausoleen und großen Basare die zentralen Orte bilden, ist das Märchen von „Tausendundeiner Nacht“ entstanden. Der Mythos von Samarkand und Buchara wird lebendig, auch wenn die Spuren des jahrzehntelangen kommunistischen Regimes und die nüchterne usbekische Gegenwart vieles verdorben haben.
Aeroflot bringt uns von Moskau nach Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, und als wir aussteigen, das graue, uncharmante Flughafengebäude der Millionenstadt betreten, können wir kaum glauben, dass hier die schönsten orientalischen Begebenheiten stattgefunden haben sollen: Im bunt bemalten Schlafgemach, auf Teppichen und bestickten Polstern sitzend, lauscht der König neugierig seiner Ehefrau Scheherezade, die ihm 1.001 Nacht lang täglich eine spannende Geschichte erzählt und ihn damit von seinem Wahnsinn abhält, des Morgens die jeweilige Nachtgefährtin ermorden zu lassen.
Heute hat Taschkent eine Unzahl an gesichtslosen Regierungsgebäuden, an riesigen Hotels, an großangelegten Boulevards und an „den schönsten Plattenbauten der Welt“, wie unsere Reiseführerin Mara stolz empfindet. Die Geschichte des Landes ist atemberaubend: Von den Anhängern Zarathustras, Buddhisten oder Konfuzianern geprägt, von den Griechen unter Alexander dem Großen, den Arabern, den Mongolen unter Dschingis Khan und den Timuriden erobert, waren die Usbeken, ab Mitte des 19. Jahrhunderts, unter russischer Herrschaft. Seit 1991 ist Usbekistan von Russland unabhängig und unter dem Präsidenten Karimov straff ­geführt.

Reiches, armes Land

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Chiwas dicke Mauer umschließt die gesamte Altstadt und hat sie viele Jahrhunderte lang vor feindlichen Angriffen geschützt. (Foto: Clara Veith)

Der Reichtum des Landes an Erdgas, Erdöl, Kupfer oder Gold geht an der Bevölkerung spurlos vorüber und zur Ernte der unermesslich großen Baumwollfelder werden Schüler, Studenten, aber auch Ärzte und andere Berufsgruppen zwangsweise herangezogen. Die jetzige Regierung hat Amir Timur, einen blutrünstigen Feldherrn aus dem 14. Jahrhundert, mittels Heldengeschichten, Statuen und Bildern zur Integrationsfigur für die Usbeken auserkoren.
Mit dem ganzen Stolz des Volkes, dem Hochgeschwindigkeitszug „Afrosiyob“, geht es weiter nach Samarkand. Fast 2.700 Jahre lang war diese Stadt ein Fixpunkt auf der Route in Richtung Westen. An den Überresten der Karawansereien sieht man, dass hier jährlich Abertausende von Händlern vorbeigekommen sein müssen. Viele von ihnen haben am Basar einen Platz gesucht, um ihre Ware feilzubieten: von Gewürzen bis zu Nüssen und Tabak, von Stoffen bis zu Kunsthandwerk und Haushaltsgegenständen. Genau die Dinge, die auch heute noch hier verkauft werden.

Der nobelste öffentliche Platz der Welt

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Usbekistan ist orientalisch, ist russisch und indisch und chinesisch: Einflüsse vieler Kulturen prägen das Leben am Land. Auf dem Bild zusehen: das Gräberstadt Shohizinda am Stadtrand von Samarkand. (Foto: istockphoto/Paco Lazano)

Am Registanplatz von Samarkand bleibt einem das erste Mal der Atem stehen: „Es ist der nobelste öffentliche Platz der Welt“, sind einmal mehr Maras Worte und diesmal hat sie Recht. Ein riesiger freier Platz, auf dem drei gewaltige, 400 Jahre alte Medresen, also Koranschulen, stehen. Jede von ihnen mit einem monumentalen und blau schimmernden Eingangsportal, mit Kuppeln und Minaretten, wobei das höchste mehr als 40 Meter misst. All das über und über reich verziert: mit Fayence- und Majolikakacheln, mit Darstellungen von Tieren und Sternen, mit Mustern und Schriftzügen.
Auch Buchara hat ähnlich Großformatiges zu bieten. Hier übernachten wir in einer der ehemaligen Koranschulen und spüren der Zeit nach. In kleinen, fensterlosen Zellen haben die Studenten ihre Tage verbracht, im großen Speisesaal essen auch wir, so wie sie damals, das Nationalgericht Plow, eine Art Reisfleisch mit Hammelfett. Zu dessen Verdauung empfehlen sich viel grüner Tee und einige Wodka shots. Die Minarette, von denen früher der Muezzin rief, sind als Aussichtsplattform für Touristen reserviert, so wie die Religion ganz allgemein im öffentlichen Leben hierzulande keine Rolle (mehr) spielt. Selbst die Gebetsnischen in den wunderschönen Moscheen sind längst von strickenden Frauen oder schnitzenden und töpfernden Männern belegt.

Ausflug in die Wüste

Direkt an Bucharas Stadtgrenze beginnt die große Wüste, und während unser Fahrer auf der menschenleeren Straße geschickt die Schlaglöcher umschifft, ziehen an uns die dürren Steppen, die steinerne Ebene und ein paar Schaf- und Ziegenherden vorbei. Nach 500 Kilometern erreichen wir Chiwa, das letzte Highlight dieser Reise. Eine Oase, eine kleine Stadt, fast wie ein Freilichtmuseum, umgeben von meterdicken Mauern und auch innen wie eine Festung gebaut. Rötlicher Sandstein diente vor hunderten Jahren dazu, die Gebäude zu errichten, nur die Kuppeln der Moscheen und Medresen heben sich in Grün und Blau farblich ab. Enge Gassen und schöne Plätze sind voll von Händlern und Lokalen. Alle paar Ecken steht ein gemauerter Lehmofen, an dessen Innenwänden die Frauen das typische Fladenbrot backen.
Dieses und ein paar gute Schaschlik-Spieße bilden unsere Abschiedsmahlzeit, während wir die Eindrücke der letzten Tage Revue passieren lassen und uns die Zukunft von Usbekistan zwischen den Umweltsünden, die beim Entlauben der Baumwollpflanzen passieren, dem herrschenden Regime, das immer mehr arme und frustrierte Bürger zurücklässt, und der klimatischen Hochschaubahn zwischen minus 20 Grad und plus 50 Grad auf der einen Seite und dem eindrucksvollen historischen und kulturellen Vermächtnis auf der anderen Seite ausmalen.

CLARA VEITH

Info

Die seit 1991 unabhängige Republik Usbekistan liegt in Zentralasien und ist von Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Afghanistan und Turkmenistan begrenzt. Ihre Fläche ist mit der von Schweden vergleichbar. Das Land wird mit seinen 28 Millionen Einwohnern und den sehenswerten Städten Samarkand, Buchara und Chiwa oft liebevoll als „von Sand umrahmter Diamant” bezeichnet.
Flüge mit Aeroflot oder Turkish Airways sind von Moskau, St.  Petersburg und Istanbul in alle usbekischen Städte möglich.

Die beste Reisezeit ist im Frühjahr und Herbst, denn im Sommer steigen die Temperaturen auf fast fünfzig Grad.

Beitragsbild: (c) Clara Veith