Grafiken, die den Raum erobern, Malerei, die sich mehrdimensional erschließen lässt: Iris Christine Aue beschreitet außergewöhnliche künstlerische Wege.
Papier, Farbstifte, akribisch gesetzte, feine Striche,
Buntstift und Aquarellfarbflächen und schließlich … Nähte. Fein säuberlich, bewusst gesetzt, es geht ganz offensichtlich um: Linienführung. Iris Christine Aue bezeichnet sich selbst als „Zeichnerin“ und obwohl ihre Werke raumgreifend, stachelig, mehrschichtig, malerisch und alles in allem sehr haptisch erfahrbar sind, muss man eindeutig zustimmen. Die Wahlgrazerin versteht es, Linien zusammenzuführen, damit zu spielen, sie zu dichten Geflechten zu bündeln und selbst im Raum gefühlt linear zu bleiben. Während wir beim VIA-Interview ihr Studio im oberen Stock der Andritzer Wohnung erkunden dürfen, werden viele Papierschichten ausgewickelt. „Ich habe ursprünglich begonnen, Fotografie zu studieren“, erzählt Iris Christine Aue. Dafür baute sie Tableaus mit Landschaften und fotografierte diese. Der Schritt in den Raum war also immer schon vorhanden. Genauso wie das Papier als Grundmaterial, das „eigentlich dreidimensional ist – man kann es biegen, brechen, schneiden“ und natürlich: wieder zusammenfügen. Kleben erwies sich als „nicht geeignete Verbindung“, also wurde genäht. Die Nähte setzt die Künstlerin nun auch sehr bewusst als weitere Linien in ihren Kunstwerken. Aue zeichnet also ihre Bilder, um sie mit dem Skalpell zu zerschneiden – und anders wieder zusammenzusetzen.
„Ungreifbares wird greifbar durch Kunst.“ Iris Christine Aue
Neugierig mag man sich leicht in den spannenden Details ihrer Werke verlieren, doch all diese Mosaikstücke ergeben dieses nicht minder fesselnde Ganze. Denn die Hauptthemen der Künstlerin drehen sich um Menschen, in erster Linie zwischenmenschliche Beziehungen. Auch hinter den sichtbaren Linien geht es um „Zerstören und Neu-Zusammensetzen“. Denn, so Aue: „Das Leben ist ja auch so – man muss verletzt sein, damit man ganz wird.“ Um dieses „Unwohlsein“ in Beziehungen geht es in ihren Werken: Wie wir miteinander umgehen – „dieses Thema fesselt mich noch immer“, erzählt Aue. „In Beziehungen muss man Kompromisse eingehen und es gibt diese Momente, wo Dominanz ein Gesicht bekommt, in denen ein Gespräch kippt, aber ein Unwohlsein, durch Sätze hervorgerufen, ungreifbar bleibt, auf allen Ebenen.“ Und hier kommt die Kunst, der künstlerische Ausdruck, ins Spiel: „Ungreifbares wird greifbarer durch Kunst“, konstatiert die Künstlerin. Greifbarer, also berührbarer und letztlich: berührend.
Iris Christine Aues Büttenpapierschichten – neben der Menschendarstellung beschäftigt sie sich auch mit Pflanzen – sind beweglich miteinander verbunden, die Nähte setzt sie mit der Hand. Das „perfekt Unperfekte“, das Patina zeigt, ist bei Aue keineswegs verkommen oder chaotisch, sondern folgt einer lebendigen, genau gesetzten Handschrift. In der japanischen Kunstbewertung gibt es dafür einen eigenen Begriff: Wabi-Sabi. Die Linien der „Zeichnerin im Raum“ sind mit Bedacht gezogen und fesseln mit einer unaufdringlichen Erscheinung. Iris Christine Aue gelingt es, Papierschicht um Papierschicht, in ihren Werken das, was darunter verborgen ist, ans Licht zu bringen. Weil sie Kunstvolles mit dem Skalpell zerteilt, um es noch raffinierter wieder zusammenzufügen.
Aktuelle Ausstellungen: „Wilde Kindheit” Gruppenausstellung im Lentos Kunstmuseum Linz. Bis 5. September. lentos.at
Iris Christine Aue ist aktuell nominiert für den Kardinal-König-Kunstpreis, Salzburg. Im November 2021 gibt es dazu eine Ausstellung aller Nominierten in St. Virgil. iris-christine-aue.com
CLAUDIA TAUCHER
Beitragsbild: Bildrecht, Wien 2021