Out of Guggenheim

Vom grauen Industriemoloch hat sich Bilbao in den letzten 20 Jahren zur hippen Kulturmetropole gemausert. Das hat die sympathische Baskenstadt auch ihrem weltberühmten Museum zu verdanken – aber nicht nur.

Der Bilbao-Effekt ist in der Welt der Städteplaner und Architekten seit den 2000er-Jahren ein geflügeltes Wort. Ein Synonym für die Strahlkraft, die von einer Sehenswürdigkeit ausgeht und einer ganzen Stadt zu wirtschaftlichem Aufschwung verhilft – wie eben das Guggenheim-Museum in Bilbao. 1997 wurde der aufsehenerregende Bau aus Glas, Beton und Titan des US-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry aus der Taufe gehoben und katapultierte die Stadt in den letzten zwei Jahrzehnten in die touristische Oberliga. Rund 1,5 Millionen Menschen besuchen jährlich den futuristischen Kunsttempel, der wie ein gestrandetes Schiff am Ufer des Flusses Nervión im alten Industriezentrum der Stadt liegt.

Atemberaubend: das lichtdurchflutete Atrium, dessen große Glasfassaden auf fließende Art das Innere mit dem Äußeren verbinden und das mit seiner stolzen Höhe von 50 Metern eigentliches Herzstück des Museums ist. Zahllose Ausstellungen zeigten in den vergangenen Jahren Kunst zeitgenössischer Ikonen wie Yves Klein, Robert Rauschenberg, Andy Warhol und Gerhard Richter. Und auch spanische und baskische Künstler haben im Guggenheim eine eigene Sektion. Pflichttermin für so manchen Museumsbesucher: Selfies mit dem blumenbepelzten Riesenwelpen „Puppy“, der vor dem Monumentalbau Wache hält, oder mit „Maman“, der neun Meter hohen Riesenspinne der französischen Künstlerin Louise Bourgeois.

 

Die zwölf Meter große Hundeskulptur Puppy schuf der Künstler Jeff Koons anlässlich der Documenta 1992 in Kassel. Seit 1997 wacht der geblümte Riesenwelpe als Stadtmaskottchen vor dem Guggenheim Museum. (Foto: iStock/luisrsphoto)

Von der Industriehochburg zum Architekturmekka

Auch die Bilbainos lieben ihr Guggi, wie das berühmte Museum von den Bewohnern der Baskenstadt liebevoll genannt wird. Nicht zuletzt, weil mit den Einnahmen durch die Touristenströme eine große Portion an Lebensqualität Einzug in die Stadt gehalten hat. Am Flussufer, wo bis in die 90er-Jahre noch ausrangierte Fabriken und rostige Werften zu finden waren, lässt es sich heute an der breiten Uferpromenade herrlich flanieren. Der Brite Norman Foster baute eine komplette U-Bahn-Linie, deren muschelförmige Eingänge „Fosteritos“ heißen. Nahe dem Museum entstand nach einem Entwurf des Spaniers Santiago Calatrava die spektakuläre Fußgängerbrücke „Zubizuri“. Und die mittlerweile verstorbene Architektin Zaha Hadid entwickelte den Masterplan für die Gentrifizierung der 60 Hektar großen künstlichen Halbinsel Zorrozaurre. In diesem ehemaligen Hafen- und Industriegebiet sollen Wohnungen, Werkstätten, Labors, Studios und Büros entstehen.

 

In den unzähligen Bars der Altstadt schmecken Pintxos mit gefüllten Miesmuscheln, mariniertem Kabeljau oder der „Chorizo al infierno” zu einem Glas Wermut oder Txakoli, dem typisch baskischen Weißwein. (Foto: iStock/Chris Costello)

Köstlichkeiten am Spieß

Nicht nur Architekturfans fühlen sich wohl in der Baskenmetropole: In der Casco Viejo (Altstadt) mit ihren berühmten Siete Calles (sieben Straßen) haben im Zuge der Stadterneuerung stylische kleine Läden, Boutiquehotels, Cafés und Galerien Einzug gehalten. Unter den Bögen der neoklassizistischen Plaza Nueva, des quirligen Mittelpunkts der Altstadt, drängen sich abends Hungrige und Nachtschwärmer vor den Pincho-Bars, die es hier an jeder Ecke gibt. Pinchos (oder Pintxos, so die baskische Schreibweise) sind die baskische Version der Tapas. Kleine Appetithäppchen aufgespießt auf Zahnstochern und angeboten in einer grenzenlosen Vielfalt und Kreativität.

Beim Pintxo Gilda handelt es sich um ein traditionelles Rezept aus dem Baskenland: Aufgespießt werden Peperoni, Oliven und Anchovis. Wer es ausgefallener mag, nimmt ein Pintxo mit Krebsfleisch und einem Klacks Kaviar obendrauf. Dazu schmeckt ein kühles Bier oder ein Glas des berühmten Txakoli, eines sehr trockenen baskischen Weißweins, der traditionell aus großer Höhe eingeschenkt wird. Nach ein bis zwei Pintxos geht es weiter in die nächste Bar und zu den nächsten kulinarischen Kleinkunstwerken. Der hohe Stellenwert der Esskultur zeigt sich auch im Fine-Dining-Bereich: Im nordspanischen Baskenland gibt es die höchste Michelin-Sterne-Dichte der Welt. Auch wenn der ewige Rivale, das rund 100 Kilometer entfernte San Sebastián, punkto Sterne die Nase vorne hat.

 

Altstadt zwischen grünen Hügeln

Bilbao bzw. Bilbo ist in großen roten Lettern oben am Monte Artxanda zu lesen – der spanische und baskische Name der Stadt. (Foto: iStock/Rainer Lesniewski)

An den Wochenenden zieht es die Bilbainos hinaus in die Natur – etwa hinauf auf den Monte Artxanda, den Hausberg Bilbaos. Nach einer kurzen Fahrt mit dem Funicular de Artxanda, der Zahnradbahn, warten spektakuläre Ausblicke auf die Stadt. Und eine sattgrüne Parklandschaft zum Joggen, Radfahren oder Picknicken – nicht umsonst gilt der Monte Artxanda als grüne Lunge Bilbaos. Oder doch lieber Meer gefällig? Mit der Metro ist man vom Stadtzentrum in 20 Minuten am breiten Sandstrand im Dörfchen Getxo am Golf von Biskaya. Mit seinen prunkvollen Villen und Schlösschen, die sich die Industriellen hier im späten 19. Jahrhundert als Wochenendrefugien errichteten, versprüht der kleine Badeort einen bezaubernden Fin-de-Siècle-Charme.

Ein Highlight auf dem Weg nach Getxo ist die Puente de Vizcaya (Biskaya-Brücke), ein architektonisches Meisterwerk aus Tonnen von Stahl, das vor einigen Jahren sogar von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Ein Erlebnis ist die Fahrt mit der an der Brücke hängenden Schwebebahn, die die beiden Flussufer miteinander verbindet. Wer mag, überquert die 45 Meter hohe Brücke über einen Panoramaweg per pedes – Schwindelfreiheit vorausgesetzt. Foodies und Hedonisten sollten sich auf keinen Fall den Besuch des Mercado de la Ribera am rechten Ufer des Nervión entgehen lassen.

Die im rationalistischen und Art-déco-Stil vom Gaudí-Schüler Pedro Ispizua designte Markthalle beherbergt 180 Geschäfte regionaler landwirtschaftlicher Betriebe. Jeweils eines der drei Stockwerke des Gebäudes ist dem Verkauf von Fisch, Fleisch sowie Obst und Gemüse gewidmet. Seit 2015 hat auch ein vielfältiger Gastrobereich Einzug in die Markthalle genommen. Wer seine Einkäufe erledigt hat, chillt auf der herrlichen Terrasse der Café-Bar La Ribera bei Jazzklängen mit Blick auf den Fluss – und genießt seinen ganz persönlichen Bilbao-Effekt.

Claudia Piller-Kornherr

 

Beitragsbild: iStock/ tichr