Chechu t’ukpyol chach’ido klingt nicht gerade nach wohlbekanntem Urlaubsziel. Zu Unrecht: Die südkoreanisch-subtropische Vulkaninsel, besser als Jeju bekannt, ist auf dem besten Weg zum Hawaii von Ostasien.
Wer in Südkorea wirklich hoch hinauswill, muss raus aus Seoul und Busan, den grauen Millionenmetropolen mit ihren wuselnden Menschenmassen unten und verglasten Aussichtsplattformen oben. In die waldigen Nationalparks der koreanischen Halbinsel etwa, wo im Winter auch Ski gefahren wird und 2018 im Großraum Pyeongchang Olympische Spiele stattgefunden haben, wie Marcel Hirscher gut weiß. Das ist alles recht nett. Aber nicht mehr, schon gar nicht spektakulär – meist etwas diesig, immer stickig und laut und allzu oft futuristisch fad. Magische Geheimnisse sind anderswo. Das Paradies auch. Und dort macht Südkorea immer öfter Urlaub.
Wie Kim zum Beispiel, die Kim heißt wie Zehntausende andere auch in Korea und schon oft für ein Wochenende da war, in dem bisschen Urlaub, das eine sehr junge IT-Controllerin bei Hyundai so hat. Denn das Mythische ist gar nicht so weit weg. Eine Flugstunde oder drei Fährstunden südwestlich des Festlandes ist nämlich alles anders: Die Vulkaninsel Jejudo in der maritimen Koreastraße, seit 2006 zur südkoreanischen Sonderautonomieprovinz Jeju-do mit der Hauptstadt Jeju-si geworden, wird landauf, landab als Samdado-Insel gerühmt – als Insel der drei Reichhaltigkeiten: Steine, Wind und Frauen nämlich, und alles angeblich im Überfluss.
Nichts wie hin.
Schwarze Felsformationen gibt es und gewaltige Lavahöhlen, brodelnde Brandungen und ein paar dunkle Sandstrände. Dazu weht stets ein frisches Lüftchen. Vor vielen Häusern stehen Bangsatap, kleine Steintürmchen, die Schutz und Wohlstand und gute Ernte bringen sollen – Jeju ist der Gemüsegarten Koreas, mit Orangenhainen und Teebüschen, so weit das Auge reicht. Und einer üppigen Fauna und Flora, die die koreanische Halbinsel recht ärmlich aussehen lässt. Ab und zu stehen da auch ein paar Dolhareubang, „Großvatersteinfiguren“ von lebensgroß bis zu gartenzwergischen Replikas, die Jeju zur Osterinsel des Westpazifiks gemacht haben.
Ein Wunder, dass diese Figuren zufällig überall im Abverkauf sind, wo Touristenbusse halten? Der Frauenüberschuss vergangener Jahrzehnte zumindest ist aber vorbei, seit die Fischerei nicht mehr so viele Opfer fordert wie früher. Die Haenyo, stämmige heimische Taucherinnen jenseits der 60, holen immer noch zu Hunderten Algen und Schalentiere vom Meeresgrund und pfeifen dazu wie ferne Lokomotiven, wenn sie wieder auftauchen. Abends tragen sie oft traditionelle Kleider, die orangefarbenen Galots, und tanzen für die Pauschaltouristen aus Seoul in den paar Luxushotels, die ein wenig romantische Urtümlichkeit versprechen. Angeblich. Sollen sie haben.
Europäer sind immer noch selten hier. Und einige blieben deutlich länger, als ihnen lieb war: Der holländische Seefahrer Hendrik Hamel etwa, der 1653 an den schwarzen Klippen kenterte, schaffte erst 13 Jahre später die Flucht aus der Internierung auf der wundersamen Insel, die mittlerweile drei UNESCO-Weltnaturerbe-Stätten beherbergt: das gewaltige Lavahöhlensystem Gemun Oreum, das inmitten (und unterhalb) der dunklen Krautfelder liegt, die durch dunkle Basaltsteinzäune begrenzt sind. Der Vulkankrater Seongsan Ilchulbong, scheinbar bloß ein gewaltiger Felsblock am Meer, dessen verwachsene grüne Krater man umwandern muss, um sie glauben zu können – am besten zu Sonnenuntergang, wenn ganze Busladungen von Jungvermählten zu Fotos kommen wollen.
Achtung heiß!
Und natürlich der schlafende Vulkan Hallasan, mit 1.950 Metern der höchste Gipfel Südkoreas, das Herzstück des Nationalparks inmitten der Insel: Ein Plankenweg führt hinauf bis fast zum Gipfel, durch dampfende, subtropische Dschungel bis zum Kratersee, der allerdings selten Wasser führt. Fabelhafte Blicke gibt es von dort oben auf schwarze Lavastrände und Hunderte vulkanische Kraterhügel, die Oreums, ohne den stickigen Dunst der koreanischen Städte. Jeju war bis vor hundert Jahren weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten und ist bloß 73 Kilometer lang und 31 Kilometer breit. Lediglich etliche politische Verbannte brachten Kunde vom Festland. Und so prägen immer noch Schamanen den spirituellen Alltag. Tausende Naturgottheiten leisten nicht nur koreanischen Honeymoonern und Flitterwöchnerinnen Beistand, die ab den 1970ern die Insel zum Traumziel erkoren haben und in der monsunfreien Hochsaison wahrlich stürmen.
So wie Kim eben, nur weniger bedrohlich als der Namensvetter aus Nordkorea, dem es hier wohl auch gefallen würde. „So romantisch“, sagt sie, und sie meint es ernst. Der Jungmun Beach etwa, ein heller Sandstrand vor dem Lotte World Complex – ein bisschen Las Vegas in Jeju, mit künstlichen Klippen, schwanenförmigen Tretbooten und holländischen Windmühlen. Und wer noch immer nicht in Stimmung ist, kann im Jeju Loveland – einem Park mit überlebensgroßen Skulpturen, die keine Eindeutigkeit vermissen lassen – Inspiration finden. Kim wird immer noch ein wenig rot dabei, wenn sie dort Selfies mit ihrem Lover macht. So manche alte Haenyo würde wohl darauf pfeifen, wenn ihr nicht die Luft wegbliebe.
Günter Spreitzhofer
Beitragsbild: Noppasin Wongchum/Shutterstock