Alo, Mocanita!

Alo, Mocanita!
Manche Waldeisenbahnen in den Karpaten machen immer noch Dampf – und das nicht zu wenig.
Alo, Mocanita!

Ausreichend Zeit und Muße muss jeder haben, denn schnell geht gar nichts. (Foto: Gabriel Petrescu/ Shutterstock)

Ioana ist 63 und sehr gut in Schuss. „Mein Liebling“, sagt Kristof zu ihr, was sie gelassen hinnimmt, denn sie kennen einander seit Jahrzehnten. Zum Schnaufen bringen sie andere. Kristof, 59, war früher Holzfäller und ist heute erster Bremser der Touristendampfzüge, die Ioana täglich ab neun Uhr talaufwärts schleppt. Oder Bavaria oder Cozia oder andere Geschwister der alten Lok. Sie hat viele, und die haben genug erlebt: Davon konnte schon Kristofs Großvater lange Geschichten von Wölfen und Bären und tragischen Unglücksfällen in der dunklen, kalten Unwegsamkeit erzählen – an 69 Tagen im Jahr liegen hier mindestens 15 Zentimeter Schnee, statistisch gesehen. Hoch im Norden Rumäniens, an der Grenze zur Ukraine, ist die alte Eisenbahnwelt noch in Ordnung.

Oh du schönes Rumänien…

Oder besser: wieder in Ordnung, denn das Geschäft mit den Dampfzügen brummt und pfeift erfreulich lautstark, zumindest in Vişeu de Sus, dem früheren Oberwischau aus kaiserlicher Vergangenheit. Die Bevölkerung rundum hält sich in höchst überschaubaren Grenzen. Und so gilt der Ort mit seinen rund 15.000 Bewohnern flächenmäßig als zweitgrößte Siedlung Rumäniens. Seit 2007 ist das Wassertal Teil des Naturparks Maramureş Gebirge und beliebtes Ausflugsziel im Hinterland von Siebenbürgen geworden. Am Anfang waren es Auswanderer aus dem Salzkammergut, die als Holzfäller und Flößer in die Wälder der Karpaten gingen, die – kein Zufall – hier Waldkarpaten heißen.

Bereits im 18. Jahrhundert nutzte die österreichisch-ungarische Monarchie das Tal der Vaser (Wassertal) als Transportweg durch die dichten Gebirgswälder. Rund 600 Menschen sollen hier noch altösterreichische oder deutsche Wurzeln haben, auch wenn das Gasthaus Oberösterreich geschlossen scheint und viele längst rückgewandert sind: Die Café-Bar Edelweis  dient immer noch als deutsch-rumänische Begegnungsstätte, wo sich die Brandstädters, Schmieds und Schneiders – das örtliche Telefonbuch zeigt viele deutsche Namen – bisweilen ein Stelldichein geben. Doch Deutsch sprechen die Wenigsten.

Mocanita: Schmalspurbahn statt Flößerei

Die Schmalspurbahn hinein ins Wassertal gibt es seit 1932. Wie in vielen anderen Teilen der Karpaten wurde die Forstwirtschaft zur Haupteinnahmequelle, die Mocanitas (Schmalspurbahnen) waren lange unverzichtbar: 1989 gab es noch 15 rumänische Waldbahnlinien mit einer Gesamtgleislänge von über 1.000 Kilometern. „Nach der Wende war es rasch vorbei, die meisten Bahnen wurden aufgelassen, Schienen und Fuhrpark als Alteisen verkauft“, erinnert sich Kristof, dessen Vorfahren aus Ebensee stammen sollen. Doch sicher ist er nicht.

Alo, Mocanita!

Historische Mobilität hautnah: Diese Reise entschleunigt auch die jüngsten Touristen.

Und dort war er noch nie. Die echten Holzzüge der R. G. Holz Company GmbH in Vişeu de Sus haben zwar mittlerweile längst Dieselloks vorgespannt, doch die Touristenzüge fahren immer noch mit Dampf – in der Sommersaison täglich, rund 22 Kilometer oder drei Stunden taleinwärts bis Paltin, einer kleinen Rangierstation in den Wäldern: Etwa die Hälfte des aktiven Vaser-Schienennetzes ist für Besucher freigegeben. Wer weiter Richtung Ukraine will, muss Sondervereinbarungen mit den Fahrern von Draisinen und Schienenbussen treffen. Das sind auf Schmalspurachsen aufgebockte Kastenwägen, meist recht rostige Ford Transit, die teils auch Schafe und Ziegen auf entlegene Weiden bringen – die einzige Möglichkeit, hier in den Wäldern noch weiter zu kommen, wo es nur den Schienenweg (mit gelegentlichen Tunneln und Brücken) und Forstschneisen, aber keinen einzigen markierten Wanderpfad gibt.

Gut Ding braucht Weile

Ausreichend Zeit und Muße muss jeder haben, denn schnell geht gar nichts. Mehr als zehn Kilometer pro Stunde wären auch gar nicht ratsam – da stehen bisweilen Kühe auf den Gleisen, und manchmal ein Schaf hinter der Kurve. Gleich hinter der Lok und dem Mannschaftswagen rumpelt ein alter Personenwaggon mit Holzsitzen und Kachelofen für eisige Tage: Auf der offenen Plattform kann sich räuchern lassen, wem danach ist. Dahinter gekoppelt sind ausgemusterte Wagen aus Wengen, vom Kleinen Scheidegg und vom Jungfraujoch – Spenden des Schweizer Vereins „Hilfe für die Wassertalbahn“, der hier 2005 kräftig investiert hat und auch einen Hotelzug aus ausgemusterten Schnellzugwagen im Bahnhofsgelände hinstellen ließ.

Dort, gleich beim Sägewerk von Vişeu de Sus, sind Eisenbahn-Nostalgiker dem Himmel nahe – wo sonst findet sich ein derart bizarres Freilichtmuseum von historischen Schienenfahrzeugen, inklusive schwarzer Wolga-Pkws aus Ceauşescus Zeiten auf Eisenbahnachsen? Die neue Forststraße an der anderen Seite des Flusses endet bald nach den letzten Häusern, die nur mehr über Hängebrücken erreichbar sind. Ein paar Wiesen noch, wo ein paar Sensenmäher gerade Pause machen. Dann Wald, so weit das Auge reicht, an immer steileren Hängen. Äste, die gegen die Waggons schlagen, trotz gelegentlicher Schrittgeschwindigkeit.

Ab und zu ein umgestürzter Baum, mit dem Kristof und die anderen vier Bremser mit Motorsäge und Axt kurzen Prozess machen. Es rumpelt und pumpelt durch dichtes Grün, ab und zu zeigen sich Zugpferde am Fluss, die geflößtes Treibholz die Uferböschung hochschleppen. Kein Harvester mehr weit und breit, dafür Pfeifen und Zischen, Dampfen und manchmal auch fast Stille. Und Kohldampf, auch ohne Kohle: Die Tourgruppen aus Bukarest, Berlin und Breslau bekommen spätestens am Picknickplatz in Paltin, der Endstation, Unterhaltung und Verpflegung. Folkloretanz und Grillwurst machen viele so glücklich, dass die meisten die Station bis zur Rückfahrt ein paar Stunden später gar nicht verlassen – ob nur das große Bären-Warnschild beim rustikalen Holzfällermuseum damit zu tun hat, bleibt unklar. Pfeif drauf!

 

Günter Spreitzhofer

Beitragsbild: Moca