Welche Rolle Düfte in der Arbeitswelt spielen, wie sehr Gesundheit durch die Nase geht und warum das Motto „Viel hilft viel“ bei ätherischen Ölen nicht gilt, verrät Aromapraktikerin Ingrid Karner.
Menschen sind heutzutage von früh bis spät verschiedensten Düften ausgesetzt – ist das eigentlich gesund?
Ingrid Karner: Nein, keinesfalls. Wir leben in einer komplett überbedufteten Welt – angefangen von Duschgels und Shampoos über Weichspüler, Putzmittel, Duftkerzen, parfümierte Shops bis hin zu aromatisierten Getränken. Nicht nur, dass uns das olfaktorisch überstimuliert – das Problem sind vor allem synthetische Duftstoffe. Von vielen weiß man bis heute nicht, wie sie letztendlich absorbiert und im Körper verstoffwechselt werden. Fakt ist: Neben Ernährung und Bewegung wird ein wesentlicher Gesundheitsfaktor unseres Systems noch vernachlässigt – nämlich unsere Atemluft. Ein Aspekt, der künftig mehr in den Fokus rücken wird. Zukunftsforscher Matthias Horx zufolge ist Duftberatung einer der Zukunftsberufe schlechthin. Und: Nicht umsonst kommt professionelle Aromatherapie mittlerweile in immer mehr Bereichen zum Einsatz – auch wenn der Begriff oft falsch verwendet wird.
Was versteht man genau unter Aromatherapie?
Karner: Sie beschreibt die Anwendung pflanzlicher ätherischer Öle zur Linderung von Krankheiten oder zur Steigerung des Wohlbefindens. Dabei werden ausschließlich natürliche und keine synthetischen Stoffe eingesetzt. Ätherische Öle sind eine duftende Wohlfühlmedizin, deren Wirkstoffe mittlerweile gut erforscht sind und deren Wirksamkeit vielfach wissenschaftlich bestätigt ist. Dass Düfte Emotionen auslösen, ist weithin bekannt. Menschen verbinden Dufterlebnisse mit Hard Facts – eine Tatsache, die oft im professionellen Duftmarketing genutzt wird. Weltweit lassen sich Unternehmen mittlerweile eigene Duftlogos kreieren, etwa um das Kaufverhalten ihrer Kunden zu beeinflussen.
Auch im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung setzen Betriebe vermehrt auf Airdesign, um Wohlbefinden und Produktivität am Arbeitsplatz zu fördern. Ätherische Öle wirken auf vielen Ebenen: Sie können unsere Stimmung heben, uns beruhigen, die Raumluft reinigen, haben aber auch antibakterielle, antivirale oder pilztötende Effekte. Dabei wirken sie nicht nur über die Riechzellen, sondern auch über Haut und Organe. In Krankenhäusern und in der Pflege werden ätherische Öle mittlerweile sehr erfolgreich eingesetzt – vor allem in Ländern, in denen wenig Budget fürs Gesundheitssystem vorhanden ist. Denn sie sind nicht nur vergleichsweise günstig, sondern auch einfach zu implementieren. Das A und O bei Aromatherapie bzw. Aromapflege ist allerdings, dass sie professionell umgesetzt wird.
Wie finden Sie heraus, welche Öle zu wem passen?
Karner: Alles beginnt mit einem persönlichen Gespräch, in dem die Thematik und die gewünschten Effekte erörtert werden. Daraufhin biete ich eine Auswahl an passenden pflanzlichen Düften zum Riechen an. Dabei werden natürlich auch etwaige bestehende Allergien, Krankheiten oder Wechselwirkungen mit Medikamenten berücksichtigt. Bei Epilepsie darf zum Beispiel kein Pfefferminzöl zum Einsatz kommen. Aus den Ölen, die am Ende übrig bleiben, wählt man nach Duftvorliebe aus und ich stelle daraus eine Komposition zusammen. Nach drei Wochen erfolgt ein Check-up und darauf aufbauend die Feinjustierung. Was bei der Auswahl und Zusammenstellung von Düften immer im Mittelpunkt steht, ist das persönliche Wohlbefinden.
Mit welchen Problemen bzw. Symptomen wenden sich Kunden bei Aromacoachings an Sie?
Karner: Sehr häufig mit Schlafstörungen. Da können pflanzliche ätherische Öle enorm hilfreich sein. Bei Einschlafproblemen wirken Lavendel- oder Orangenöl besonders gut. Hier empfehle ich gerne Aromuli, das sind aromatisierte Globuli. Vor dem Schlafengehen lässt man drei bis sechs Stück unter der Zunge zergehen; wenn man nachts aufwacht, nochmals die gleiche Menge. Der Duft wird so vom Mund über das retronasale Riechen direkt ans Gehirn geleitet – was nächtliches Gedankenkreisen sofort unterbricht. Alternativ kann man hier aber auch gut mit Riechstiften arbeiten.
„Neben Ernährung und Bewegung wird oft ein wesentlicher Gesundheitsfaktor vergessen: die Luft, die wir atmen.“
Ingrid Karner
Was passiert, wenn Aromatherapie unprofessionell angewandt wird bzw. woran merkt man das?
Karner: Einer der Grundsätze der Aromatherapie lautet: Sie darf immer nur angenehm sein. So etwas wie eine Erstverschlechterung gibt es bei der Aromatherapie nicht. Wenn doch, dann ist bei der Beratung etwas schiefgelaufen. Es gibt da auch diesen alten Mythos: Was stinkt, tut dir gut – was absolut nicht stimmt. Wenn wir etwas nicht riechen können, ist es auch nicht förderlich für unsere Gesundheit. Zu den häufigsten Fehlern in der Aromatherapie zählt auch die Überdosierung nach dem Motto „Viel hilft viel“. Dabei wird die Potenz ätherischer Öle komplett unterschätzt. Ein Tropfen Pfefferminzöl entspricht zum Beispiel der Menge, die in 80 Tassen Pfefferminztee enthalten ist! In der professionellen Aromatherapie gilt: Weniger ist mehr. So kommt es etwa bei Raumbeduftungen enorm auf die Dosierung an – zum Beispiel bei professionellen Duftlogos von Geschäften oder Hotels: Damit sie als angenehm empfunden werden und entsprechend wirken, müssen sie unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben. Sprich: Betritt man einen Raum, soll man gar nicht merken, dass hier mit Düften gearbeitet wird. Die Vorgänge, die Gerüche in unserem Gehirn auslösen, sind enorm komplex und weitreichend – um sie richtig handhaben zu können, braucht es jemanden mit fundiertem Know-how. Viele Ausbildungen sind leider noch unzureichend geregelt. Bei ätherischen Ölen gelten gesetzliche Vorgaben hinsichtlich Mischverhältnis, Etikettierung, Haltbarkeit, Hautkontakt etc. – Faktoren, die in vielen Kursen nicht entsprechend unterrichtet werden. Auf www.aromapraktiker.eu findet man eine Liste zertifizierter Aromapraktiker sowie alle Infos zu seriösen Ausbildungen.
Worauf soll man achten, wenn man sich ätherische Öle für zu Hause kauft und anwendet?
Karner: Am wichtigsten ist, dass es sich wirklich um reine pflanzliche ätherische Öle handelt und nicht um Parfumöle. Hochwertige Öle bekommt man in ausgewählten Apotheken oder direkt bei Aromapraktikern. Für ein Fläschchen muss man mit rund zehn bis 15 Euro rechnen. Aufbrauchen sollte man die Öle innerhalb von zwei Jahren. Zur Beduftung bzw. Reinigung der Raumluft sind Zitrus-, Lavendel- und Zedernöle bedenkenlos anwendbar. Um nicht zu hoch zu dosieren, empfehle ich dennoch, sich vorher beraten zu lassen bzw. sich einzulesen.
ANJA FUCHS
Ätherische Öle für die Hausapotheke
Aromatherapie für die Psyche:
Der Duft ätherischer Öle aus Bergamotte und/oder Blutorange lässt Räume sofort so wirken, als würde die Sonne hereinscheinen – sie stimulieren die Produktion von Serotonin und Dopamin und wirken so Stimmungstiefs im Herbst und Winter entgegen. Anwendung: in einer Duftlampe oder einem Diffuser (3 bis 6 Tropfen pro 25 m2 Raumgröße).
Virale Infektionen:
Eukalyptus- und Cajeput-Öl helfen bei viralen Infektionen, sie können zum Gurgeln eingesetzt werden, aber z. B. auch auf der Haut bei Warzen. Öle gegen virale Infektionen wirken auch über eine Duftlampe.
Bakterielle Infektionen:
Thymian (Ct. Thymol) kann bei bakteriellen Infektionen (z. B. Harnwege, Atemwege) wie ein Breitbandantibiotikum eingesetzt werden. Dafür einen Tropfen Öl auf ein Stück Würfelzucker geben, in einem Glas Wasser auflösen und trinken (zwei Mal täglich, max. zwei Wochen lang).
Buchtipp
Fragrantia. Märchen und Meditationen mit Duftpflanzen
Neben inspirierenden Geschichten und fundiertem Wissen rund um die Kraft der ätherischen Öle liefert Ingrid Karner meditative Übungen für mehr Ruhe und Ausgeglichenheit. Von Hand illustriert von der Grazerin Sabrina Deutsch.
fragrantia.at