Bethlehem – Panzer, Pauken und ein paar Trompeten

Umzüge in Uniform, dazu Pauken und Party mit Trommeln und Trompeten: Wenn der lateinische Patriarch von Jerusalem zu Weihnachten zur Geburtskirche Jesu zieht, feiern Christen, Juden und Palästinenser traditionell zusammen.

 

Das ist nicht immer so. Und hinzukommen, war für Josef und Maria vielleicht sogar simpler als für die Pilger aus aller Welt heute. Denn Bethlehem, für über zwei Milliarden Christen weltweit der Geburtsort von Jesus Christus, liegt zwar eigentlich im Staate Israel, aber zugleich in Palästinas Westjordanland. Deren unerfreuliche Beziehung zueinander ist bekannt, christliche Nächstenliebe ist es jedenfalls keine.

 

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Foto: iStock/rrodrickbeiler

Umkämpft ist die Stadt seit 2000 Jahren und mehr: Hinein kommt heute fast jeder, sofern er nicht orthodoxer Jude ist und laut genug hupt. Die Araber sagen „Haus des Fleisches“ dazu, die Israelis „Haus des Brotes“: Die Stadt lebt mittlerweile gut von Herbergen und Souvenirs, die über 25 Prozent der Bevölkerung Arbeit und ein recht gutes Leben ermöglichen. Bethlehem ist die reichste Siedlung des Westjordanlandes geworden. Die engen Gassen mittendrin vibrieren vor Leben, sind voller Geräusche und Gerüche des Orients. Weihrauch liegt nur mehr selten in der Luft und Myrrhe lässt sich auch bröckchenweise erstehen. Dazu Gewürze, Juwelen und klebrige Baklava, religiöse Perlmutterornamente, Statuen und Schatullen aus Olivenholz.

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Foto: iStock/Joel Carille

In den engen Gassen hinunter zum Hebron-Highway brutzeln Shawarmas und faustgroße Falafels, das Fast Food des Nahen Ostens. Und wer heiligen Wein will, begibt sich ins Klosterweingut Cremisan, wo seit 1885 Wein angebaut wird – seit Kurzem ist das Gelände an der neuen großen Mauer in einen israelischen und einen palästinensischen Abschnitt geteilt. „Sie gönnen uns nicht einmal den Wein“, grummelt Rashid, geboren als Russe, der in der Milchgrotte ältliche Ansichtskarten mit Briefmarken der Palästinensischen Autonomiebehörde verkauft.

Nicht die einzige Rarität hier: Die Spielzeugläden in den Souks führen jedenfalls sehr viele Plastik-Maschinengewehre und grün-weiße Kunststoffpanzerfahrzeuge, mit oder ohne Krach, wie Abu Nassers Sohn erklärt, der auch in der Abenddämmerung seine Sonnenbrille nicht abnehmen will. Ein paar Kindertrommeln und Kindertröten gibt es auch, wer sich an den Umzügen zu Weihnachten beteiligen will. „Intifada“, sagt er lapidar und lächelt nicht besonders fröhlich. Wie die israelischen Soldaten an den Checkpoints stadtauswärts auf schwarz-weiß karierte Palästinensertücher und Wasserspritzpistolen Marke PLO reagieren würden, sollen besser andere ausprobieren und als Geschenk zu Hause unter den Christbaum legen.

Den wird man hier nicht finden. Bethlehem ist im Norden wie im Westen von israelischen Siedlungsblöcken umschlossen, ein idyllisches Hirtendorf sieht anders aus. Das Licht ist grell hier, dunstig oft nicht nur die Stimmung. Von blauem Himmel ist tagsüber wenig zu sehen. Vorbei am israelischen Sperrwall, einer fast zehn Meter hohen Mauer beim Checkpoint Bethlehem 300, gleich hinter Rachels Grab, führt derzeit eher die Nebenroute in die Stadt. Bis zu den Mittelmeerküsten von Gaza westwärts und den Stränden am Toten Meer ostwärts sind es nicht einmal 70 Kilometer. Doch des Badens wegen kommt ohnedies keiner her, frag nach bei Kaspar, Melchior und Balthasar.

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Fotos: Günter Spreitzhofer

Andrang an der Geburtskirche

Der „Stern von Bethlehem“ ist ein Fotoshop in der Papst-Paul-VI-Straße, die jeder bergan gehen muss, der mit dem Linienbus aus Jerusalem kommt und in die Altstadt von Bethlehem will. Bus 21 fährt alle 15 Minuten vom Damaskus-Tor und nimmt einen langen Umweg durch die grauen, baumlosen Hügel rund um das alte Zentrum, das in den Hügeln des Judäischen Gebirges liegt. Endstation ist Bab Zukah am Hebron Highway, meist voll mit buntem Volk, unterwegs nach Hebron oder zu einer der beiden Universitäten von Bethlehem oder schlicht zum Shopping. „In Palästina ist alles billiger als in Israel“, sagt Omar, der im Palestinian Heritage Center von Bethlehem bestickte Stoffe verkauft und zugleich auch in den Souks von Jerusalem Geschäfte macht.

Wer die Grotte unter der Geburtskirche besuchen will, über der vor mehr als 2000 Jahren der Stern von Bethlehem geleuchtet haben soll, braucht jedenfalls Zeit. Viel Zeit, denn Dutzende Pilgergruppen sammeln sich auch außerhalb der Festtage frühmorgens im Seitenflügel der Kirche, die nur in gebückter Haltung durch ein niedriges Steintor, die Demutspforte, zu betreten ist.

Viele Pilger haben keine Augen für das politische Rundum und besingen recht entrückt den „süßen Knaben“. Ob der so ausgesehen hat wie die Jesus-Puppen in den Wühlkörben der arabischen Shoppingcenter am Stadtrand, ist nicht bekannt. Die sind in Flaggen Palästinas eingehüllt und hören den ganzen Tag Palästina-Pop. Von stiller Nacht ist in Bethlehem jedenfalls wenig zu bemerken, und zwar ganzjährig. „Wer Weihnachten in Andacht verbringen will, ist hier fehl am Platz“, sagt Massimo, der im Franziskaner-Hospiz gleich am Manger-Platz bei der Geburtskirche seit drei Jahren Eis verkauft. „Der Fasching beginnt bei uns schon jetzt.“

 

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Foto: iStock/efesenko

Religion

Religiöse Riten finden in Bethlehem dreifach statt: Der 25. 12. ist der traditionelle Tag für Umzüge der römisch-katholischen und protestantischen Glaubensrichtung; Griechen, Kopten und syrisch-orthodoxe Christen feiern am 6.  1. und armenisch-orthodoxe Christen am 19. 1. Römisch-katholische Messen finden in der Franziskanerkirche der hl. Katharina statt, Protestanten feiern auf den „Shepherds’ Fields” bei Beit Sahour, einem Vorort von Bethlehem.

In der Geburtskirche befindet sich heute die Geburtsgrotte mit dem 14-zackigen Silberstern. Insgesamt 15 Lampen über dem Stern repräsentieren verschiedene christliche Konfessionen. Nach der Kreuzfahrerzeit gingen die einzelnen Gebäudeteile in den Besitz der griechisch-orthodoxen, der armenisch-orthodoxen und der römisch-katholischen Gemeinschaften über, die sich jeden Meter und jedem Kerzenständer in der mehrschiffigen Kirche vertraglich zusichern ließen – inklusive der lukrativen Kerzenvertriebsstellen, wo 15 cm Kerze schon ab 2 Euro gehandelt werden.

 

GÜNTER SPREITZHOFER

 

Beitragsbild: istock.com/efesenko