Seit mehr 30 Jahren steht „Sir“ Oliver Mally auf der Bühne. VIA traf die Blueslegende zum Interview. Ein Gespräch über Verve, Vinyl und Wahrhaftigkeit.
„Uncut“ heißt das eben erschienene neue Album von „Sir“ Oliver Mally und bringt den steirischen Bluesbarden zurück zu seinen Wurzeln. Von der Bühne hat der 52-Jährige auch nach über drei Jahrzehnten nicht genug: Mit einer Frequenz von rund 130 Gigs im Jahr ist er on the road – solo oder mit musikalischen Kapazundern wie Martin Moro, Martin Gasselsberger, Peter Schneider oder „The Blues Messengers“, seiner neuen Band.
Oliver, wie kommt man eigentlich zum Titel eines „Sir“?
Natürlich nicht über die Queen (lacht). Den habe ich mir selber verliehen vor ewigen Zeiten. Ein Manager wollte mich 1991 für ein Bluesfestival in Budapest engagieren und hat nach meinem Künstlernamen gefragt. Den gab es aber noch nicht. Eigentlich hätte mir King gefallen, aber da gibt es keine Aufstiegsmöglichkeiten. Also hab ich mir als Scherz den „Sir“ verpasst und der ist an mir kleben geblieben wie ein schlechtes Tattoo.
Ich habe gelesen, du bist ein Autodidakt. Wie wurdest du zum Musiker?
Ich habe eine Gitarre bekommen und hatte einen Plattenspieler daheim. Und ich wusste, was mir gefällt und was ich gerne nachspielen würde. Als ich angefangen habe, gab es dieses Album von Eric Clapton „Just one Night“. Da ich nicht notenkundig war und auch heute noch nicht bin, hab ich mir ein Gitarrengriffbrett aufgezeichnet. Ich hab die LP aufgelegt, zehn Sekunden laufen lassen und mir das angehört. Dann hab ich es auf dem Griffbrett eingezeichnet. Und so habe ich mir Skalen erarbeitet, nach denen spiele ich heute noch. Ich habe zu diesen Platten eine ganz tiefe Verbindung, das hatte für mich etwas Stilprägendes. Heute ist Musik leicht abrufbar, eine Datenmenge, die du überall klauen kannst, und wenn es dir nicht mehr gefällt, drückst du auf delete. Das ist mit der Grund, warum ich nach wie vor auch auf Vinyl produzieren lasse. Vinyl ist ein Bekenntnis zur Musik.
Haben deine Eltern deine musikalischen Ambitionen gefördert?
Das Interesse an Kultur wurde immer genährt von meinen Eltern. Wir sind viel ins Kino gegangen, sie haben mich mit Literatur versorgt und mit großartiger Musik. Als ich ein Kind war, liefen bei uns daheim immer Ray Charles, Randy Newman, Fats Domino. Als ich 15 war, haben sie mir die Gitarre geschenkt. Am Anfang haben sie sich gefreut, dass sie so gut angekommen ist, aber das wurde dann obsessiv. Ich habe keinen Sommer mehr ein Freibad gesehen, bin jeden Tag nur an der Gitarre geklebt und hab das bis heute beibehalten.
„Es kann sein, dass ein Song beim Fenster reingeflogen kommt und dann in einer Viertelstunde fertig ist.“
Ist die Musik also die Liebe deines Lebens?
Ja. Aber auch Film, Literatur, Bildhauerei oder Malerei. Ich hänge gerne in Museen ab. Es gibt so viele Dinge, die mich interessieren – auch in der Musik. Wenn mich jemand auf den Blues festlegen will, sage ich, ich höre alles andere viel mehr als
Blues: Klassik, Jazz, Fusion, elektronische Musik. Ich bin fast neidig, wenn jemand sagt, er mag nur akustische Bluesmusik. Dann bist du mit 1000 CDs durch. Aber wenn dich jedes Genre interessiert, weil es überall etwas gibt, das dich berühren kann, dann ist das ein bisschen umfassender.
Wo stehst du gerade musikalisch?
Ich habe mit einer neuen Band wieder ein richtiges Bona-Fide-Bluesalbum aufgenommen. Das war eine ganz spontane Idee. Und ich hab eine große Freude damit. Mein allererstes Album, 1991, das war wild und rustikal und zähneknirschend, hatte Ecken und Kanten ohne Ende. Wir haben das damals live eingespielt und man hört die Euphorie und die Verve, die wir hatten. Und die letzte Platte ist wieder so – wir sind ohne technischen Schnickschnack in einen Raum gegangen und haben das Album live eingespielt, ein Take, maximal zwei. Und dann wird nicht mehr hingegriffen. Das ist keine CD, das ist ein Statement. Und es ist so, als hätte sich nach all der Zeit ein Kreis geschlossen.
Wie dürfen wir uns deinen Schaffensprozess vorstellen? Wie entsteht ein Song?
Es gibt keine Rezeptur. Das wäre zwar schön, aber auch langweilig. Es kann sein, dass ein Song beim Fenster reingeflogen kommt und der ist eine Viertelstunde später fertig. Und den Song greifst du nie mehr an, weil da phonetisch alles stimmt. Die Songs, bei denen du immer wieder hingreifst, denen merkst du die Verkrampfung an. Oft taucht beim Autofahren eine Textzeile auf und an der hältst du fest und drapierst drumherum einen ganzen Song. Und manche Textzeilen legst du in eine Lade und lässt sie einfach gären, weil du merkst: Das ist eine super Textzeile, aber die hat jetzt noch nichts mit mir zu tun. Oder du verspielst dich auf der Gitarre und auf einmal entsteht aus dem Fehler ein unheimlich schöner Melodiebogen. Es kommt immer drauf an, ob du einen Song schreibst oder ob du einen Blues schreibst. Beim Blues hat der Text fast etwas Hypnotisches, deshalb gibt es auch viel mehr Wiederholungen.
Du meinst, wie bei einem Mantra?
Genau, wie bei einem Mantra. Bei einer Bluesnummer untermale ich das, was ich bei einem Mantra bete, indem ich gewisse Passagen mehr heraushebe. Und wenn du es hinkriegst, dass das richtig zu fahren beginnt, ist es Wahnsinn! So bin ich überhaupt auf diese Musik gekommen. Ich hab eine Platte bekommen und es war eine Nummer, die ist auf einem Riff gehangen, sechs Minuten lang. Und ich habe nach zwei Minuten gewusst, ich werde Bluesmusiker. Das ist jetzt 35 Jahre her und ich spüre es immer noch körperlich. Der Blues hat seine Magie nie verloren. Blues heißt, dass man nicht versucht, etwas zu kaschieren, indem man drübersteht. Blues ist das Bekenntnis dazu, dass man rissig und brüchig ist. Es ist die Antithese zur Kaugummimusik.
Was bedeutet das für deine Live-Auftritte?
Ich muss mit meinem Publikum auf Augenhöhe sein, alles andere ist Quatsch. Und ich muss mit mir im Reinen sein. Wenn es der Raum erlaubt, setze ich mich am liebsten in die Mitte, ohne Anlage, und spiele rein akustisch. Mir ist lieber, ich mach jeden Abend 40 Leute glücklich und das 120 Mal im Jahr. Die großen Bühnen sind für andere bestimmt und ich habe meinen Frieden damit gefunden. Ich will jeden Abend eine Nummer, die ich schon 1000 Mal gespielt habe, aufs Neue entdecken. Gestern war ein Moment und den kannst du nicht reproduzieren. Und heute ist heute. Serve the song and not the Ego!
Termine
28. 3. The Blues Messengers, Mozarthaus, Wien
14. 4. The Blues Messengers, Leibnitzer Bluestage
27. 4. „Sir” Oliver Mally & Peter Schneider, Wein & Brot, Bad Fischau
5. 5. „Sir” Oliver Mally & Peter Schneider, Biofest Gleisdorf
6. 5. „Sir” Oliver Mally Solo, Schlosskeller, Ligist
Alle Termine: www.sir-oliver.com
Beitragsbild: www.derferder.at