Mit Oksana Lyniv leitet erstmals eine Frau die musikalischen Geschicke des Grazer Philharmonischen Orchesters und der Oper Graz. Für ihre musikalische Arbeit erhielt die Ukrainerin bereits international viel Anerkennung.
„Für die schöne Stadt Graz hatte ich leider immer noch keine Zeit. Der Herbst ist für mich musikalisch sehr intensiv. Es liegen jetzt an die 15 Partituren auf meinem Schreibtisch – sehr unterschiedliche Werke vom 19. bis zum 21. Jahrhundert – deswegen muss ich mich erst mal auf die Arbeit konzentrieren. Ich freue mich aber schon, danach ein paar Tage zu finden, um die Umgebung und die Stadt Graz kennenzulernen.“ Im Gespräch mit Oksana Lyniv wird schnell klar: Die neue Chefdirigentin der Oper Graz und des Grazer Philharmonischen Orchesters ist mit vollem Herzen in ihrer neuen Aufgabe angekommen. Mit dem Orchester wachse sie bereits zusammen, erzählt sie uns: „Ich freue mich immer, mit einem neuen Stück zum ersten Mal zu einem Orchester zu kommen, weil es dabei immer eine höchst spannende Entwicklung von meinen Ideen und von den Leistungen der einzelnen Musiker gibt.
Ich genieße diese intime und sehr fleißige Probenatmosphäre und diesen engen Kontakt zu den Musikern und versuche, ihn weiter aufzubauen.“ Die aus der Ukraine stammende Dirigentin folgt Dirk Kaftan nach, der zur kommenden Saison als Generalmusikdirektor des Beethoven-Orchesters nach Bonn wechselt. Die vakante Position stieß international auf großes Interesse. Dass die Wahl schließlich auf sie fiel – für Lyniv so etwas wie ein künstlerischer Jackpot: „Letztes Jahr hatte ich schon etliche Anfragen von verschiedenen Opernhäusern in Deutschland erhalten – sowie die Anfrage der Oper Graz, die seit meiner Jugend für hohes Niveau und internationales Renommee steht. Deshalb war ich sehr glücklich, am Auswahlverfahren für die Position des Chefdirigenten teilnehmen zu können. Unter allen meinen Angeboten war die Grazer Oper mein Favorit.“
Überhaupt hat die 39-Jährige zu ihrer neuen Wirkungsstätte eine ganz besondere Beziehung: „Aufgrund meiner Herkunft bin ich der österreichischen Kultur und Tradition sehr verbunden, da Galizien bis 1918 zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte. Die Stadt Lemberg (Lwiw) und meine Heimatstadt Brody, die auch die Heimatstadt des Schriftstellers Joseph Roth ist, haben sehr viele historische und kulturelle Bezüge zur österreichischen Geschichte und im Speziellen zur Stadt Graz. Schon immer zählten besonders österreichische Komponisten wie Mozart und Mahler zu meinen Lieblingskomponisten.
“ Ihre musikalische Laufbahn begann Oksana Lyniv an der Lemberger Musikakademie in der Ukraine. Sie setzte ihre Ausbildung in Deutschland fort und schloss ein Aufbau- und Meisterklassenstudium in Dresden ab. Von 2008 bis 2013 war sie als Dirigentin und Stellvertreterin des Chefdirigenten an der Nationaloper Odessa engagiert, wo sie sich ein breites Repertoire erarbeitete. Oksana Lyniv wurde mit mehreren Preisen und Stipendien bedacht. 2004 gewann sie den 3. Preis des renommierten Gustav-Mahler-Wettbewerbs für Nachwuchsdirigenten in Bamberg. Seit 2013 ist sie als Dirigentin und musikalische Assistentin von Generalmusikdirektor Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper München engagiert, wo sie mehrere Vorstellungsserien von Wiederaufnahmen (u. a. Mozarts „La clemenza di Tito“, Donizettis „Lucia di Lammermoor“, Verdis „La traviata“) und Vorstellungen im Rahmen der Münchner Opernfestspiele leitete.
Bei den Festspielen 2016 dirigierte Lyniv die Uraufführung der Oper „Mauerschau“ von Hauke Berheide. Im März folgt unter ihrer Leitung die Wiederaufnahme von Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ in der Regie von Robert Carsen. Im April wird sie am Gran Teatro del Liceu in Barcelona Wagners „Der fliegende Holländer“ dirigieren. Eine rege Konzerttätigkeit, unter anderem mit den Prager Philharmonikern, den Hamburger und Münchner Symphonikern, komplettiert ihre musikalische Arbeit. Ihr Eröffnungskonzert an der Grazer Oper am 23. September 2017 wird Oksana Lyniv bestimmt noch länger im Gedächtnis bleiben, rief sie doch beim Grazer Publikum wahre Jubelstürme hervor. „Wir hatten sehr interessante Stücke, große Meisterwerke auf dem Programm gehabt und konnten in der Probezeit wirklich die ganze Breite von Details, die in diesen Partituren stecken, gemeinsam erarbeiten. Ich war höchst glücklich ob dieser ersten, spannenden und intensiven Probenwoche mit dem Grazer Philharmonischen Orchester.“
Die geschäftsführende Intendantin der Oper Graz, Nora Schmid, freut sich auf die zukünftige Zusammenarbeit mit Oksana Lyniv: „Ich bin mir sicher, dass ich mit Oksana Lyniv eine hochkarätige Musikerin für die Oper Graz gewinnen konnte und ich freue mich sehr, mit ihr gemeinsam das Programm des Hauses weiterzuentwickeln.“ Lyniv, die in Graz erstmals in ihrer Laufbahn eine Chefposition bekleidet, ist voller Tatendrang: „Nach vier spannenden, intensiven und erfolgreichen Jahren an der Bayerischen Staatsoper in München an der Seite von Kirill Petrenko fühle ich mich besonders glücklich und geehrt, dass meine erste Position als Chefdirigentin in Graz sein wird – an einem Haus mit so renommierten Künstlern und einem so hohen künstlerischen Niveau auf allen Ebenen.“ Ob sie bereits ihren Lieblingsplatz in Graz gefunden hat, wollen wir zum Abschluss wissen. „Die Oper“, lautet die wenig überraschende Antwort.
CLAUDIA PILLER-KORNHERR
Beitragsbild: Werner Kmetitsch