Die Trompeten von Jelica: Party am Balkan

Achtung, Bläser-Inferno! Im serbischen Guča steigt im August die wildeste Party des Balkans.

Jedes Jahr im August treffen sich mehr als einhundert Blaskapellen, überwiegend aus Serbien, zum größten Blasmusikfestival der Welt. Ort des Geschehens ist die serbische Gemeinde Guča, etwa 170 Kilometer südwestlich von Belgrad am Rande des Jelica-Gebirges. Der Hauptort hat weniger als 3.000 Einwohner, sieht sich aber als Welthauptstadt der Trompete. Und das völlig zu Recht! Während des in der Regel fünftägigen Festivals herrscht Ausnahmezustand in dem sonst recht verschlafen wirkenden Guča, denn während des Dragačevo-Festivals wird der beschauliche Balkan-Ort, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, von rund einer halben Million Besuchern regelrecht überrannt.

Volksfest

Die feierlustigen Gäste versammeln sich vor einer großen Bühne am Ortsrand, im Stadion des FC Dragačevo, aber auch in zahllosen kleinen Zelten, die entlang der Hauptstraße aufgestellt sind. Das Bläser-Inferno, das dort zu erleben ist, hat wenig gemein mit disziplinierter Bierzeltmusik – vielmehr ziehen Dutzende von Roma-Kapellen, zum Großteil aus Süd- und Westserbien, mit ihren alten, verbeulten Tenorhörnern, Flügelhörnern, Trompeten und Tuben von Zelt zu Zelt, von Tisch zu Tisch. Dort, wo sie willkommen sind, bleiben sie stehen, spielen drei, vier Lieder – der Trichter ihrer Trompeten ist meist nur wenige Zentimeter von den Ohren der Zuhörer entfernt. Diese revanchieren sich mit Geldscheinen, und wer freigiebig genug ist, hat schnell auch zwei verschiedene „Orkestars“ um seinen Tisch versammelt, die dann mit unterschiedlichen Liedern lautstark um die Wette blasen. Das Trinkgeld dafür kann gerne in den Trompetentrichter gesteckt oder an die schweißnasse Stirn geklebt werden. Der Wettkampf dieser kleinen Roma-Blasorchester um die Gunst der Tischherren scheint fast härter zu sein als der offizielle Wettbewerb, der auf der Hauptbühne des Festivals ausgetragen wird – von zwanzig Kapellen, die sich in Vorausscheidungen qualifiziert haben, wird die beste gekürt.

„Nach dem Oktoberfest in München und dem Karneval in Rio ist das Trompetenfestival in Guča inzwischen die drittgrößte Party der Welt“

Dauerparty

Jelica-Party

Tagsüber stehen unter anderem die traditionellen Umzüge auf dem Programm. Am Abend hingegen wird eine professionelle Show gefeiert: Auf der Hauptbühne spielen in Guča abends die Stars. (Foto: Oskar Lucani)

Guča, das bedeutet Volksfest und Dauerparty, Open-Air-Festival und Folkloreumzug in einem, vor allem steht das Festival für Temperament und Lebensfreude. Ursprünglich auf Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen gespielt, haben die mal langsam-getragenen, mal temperamentvollen, ja ekstatisch schneller werdenden Bläserrhythmen des Balkans längst weltweit ihre Anhängerschaft gefunden. Dennoch – beim Festival in Guča, das es schon seit mehr als fünfzig Jahren gibt, mischen sich zwar auch einige Tausend ausländische Besucher unter die Schar der Blasmusikjünger, doch insgesamt dominiert das einheimische Publikum. Der über 80-jährige Nikola Stojić ist jedes Jahr mit dabei. „Trompetenmusik ist typisch für die Umgebung hier – man kann sie hören, wenn ein Kind geboren wird, wenn jemand heiratet oder beigesetzt wird. Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg hatten wir insgesamt 16 Blaskapellen hier in der Region, nach dem Zweiten Weltkrieg waren es nur noch vier“, berichtet Stojić. Im Jahr 1960, neun Jahre, bevor sich in Bethel im Bundesstaat New York die US-Hippiebewegung zum später legendär gewordenen Woodstock-Festival versammelte, lud Nikola Stojić, der damals als Lehrer arbeitete, Blaskapellen aus Guča und dem Jelica-Gebirge ein, sich zu einem kleinen Wettbewerb vor der Dorfkirche zu treffen. „Wir hatten die Gruppen aus Freude an der Musik eingeladen, zum ersten Fest kamen vier Kapellen und 3.000 Besucher, beim zweiten Festival waren es dann schon 5.000. Wir haben damals nicht geahnt, dass es so eine lange Tradition bekommen würde“, berichtet Stojić. „Nach dem Oktoberfest in München und dem Karneval in Rio ist das Trompetenfestival in Guča inzwischen die drittgrößte Party der Welt“, beteuert er. Auch wenn diese Aussage bezweifelt werden darf – phänomenal ist der Aufstieg Gučas vom lokalen Musikantentreffen zum größten Blasmusikfestival der Welt allemal.

Freude an der Musik

Seine Atmosphäre und sein einzigartiges Flair verdankt das Festival nicht nur Musikern wie Boban Marković und Goran Bregović, die häufig hier spielten und inzwischen zu Weltstars wurden. Der Charme Gučas entsteht vor allem durch die kleinen Bläsergruppen, durch Trompeter, die morgens um sieben zum Weckruf in den Straßen unterwegs sind, durch die Roma-Kapellen, die in den Zelten mitsamt ihren Tänzerinnen von Tisch zu Tisch ziehen, durch die Bierverkaufsstände, an denen gewaltige Lautsprecherwände aufgebaut sind und die ganze Nacht lang Discoatmosphäre herrscht, durch die Spanferkelgrills und die Anbieter von Schweinebauch mit Kraut aus dem Tontopf, von Cevapcici und Würstchen vom Grill, durch die Schausteller, die nicht weit vom Festivalgelände einen kleinen Vergnügungspark aufgebaut haben, durch Messestände, die Schmuck, Tischdecken, Plastiktrompeten, T-Shirts und CDs feilbieten, durch zahlreiche kleine Biergärten, die rund um die Häuser aufgebaut sind, und durch fliegende Händler, die durchs Festivalgelände laufen und Obstbrände anbieten.
Für die ausländischen Besucher, die das Glück haben, sich für die Dauer des Festivals in einem der geräumten Kinderzimmer der Ortsbewohner einquartieren zu können, werden tagsüber Sightseeingtouren in die Umgebung angeboten – sei es ein Ausflug zur Schmalspurbahn „Šargan 8“ oder eine Fahrt in die nahe gelegene Ovčar-Kablar-Schlucht, ein wildromantisches Fluss-tal, in dem sich ein Dutzend orthodoxer Klöster befindet. Der dort gelegenen Ort Ovčar Banja ist bestens dafür geeignet, um sich nach den durchtanzten Nächten auf dem Trompetenfestival für einige Tage zu regenerieren – sei es durch ein Bad im 36 Grad warmen Thermalwasser oder durch Saunabesuche und Massagen im örtlichen Spa-Hotel.

RAINER HEUBECK

Infos & Tipps

Festival in Guča: Das Festival findet in diesem Jahr vom 11. bis zum 13. August statt. Informationen zum Programm finden sich auf der Festivalwebseite.

Anreise: Von Belgrad nach Guča sind es etwa 170 Kilometer, die per Bahn (bis Čačak) bzw. Bus (umsteigen in Čačak),
Leihwagen (über Gornji Milanovac und Čačak) oder im Rahmen eines organisierten Transfers zurückgelegt werden können.

Informationen zum Reiseland Serbien erhalten Sie bei der Nationalen Tourismus Organisation Serbiens bzw. Tel. +381 11 6557-100.
Über das touristische Angebot in der Ovčar-Kablar-Schlucht und in der Umgebung von Guča informiert die Touristeninformation in Čačak: Turistička organizacija Čačka, Gradsko šetalište bb, 32 000 Čačak, Tel. +381 32 343-721.

Übernachten in der Umgebung: Wellness Centar – Kablar, Tel: +381 32 559 61 06, wellnesscentar@open.telekom.rs.
Übernachtung mit Frühstück: ca. 28 Euro, 1 Stunde Massage: 13 Euro.

Buchtipp zur Einstimmung: Garth Cartwright: „Balkanblues und Blaskapellen. Unterwegs mit Gypsy-Musikern in Serbien, Mazedonien, Rumänien und Bulgarien.” Hannibal-Verlag, Innsbruck. 24,90 Euro: Der aus Neuseeland stammende Autor ist ein Guča-Fan, er gibt einen interessanten Einblick in die Musikkultur des Balkans und ihre sozialen Hintergründe.

Beitragsbild: (c) shutterstock/ToskanaINC