„Es hat mich entsetzlich durchgewürfelt“

Mit 85 Jahren veröffentlicht Rosemarie Kurz ihre Biografie. Wie es der Grazer Pionierin dabei erging und warum sie gar nicht daran denkt, gelassener zu werden.

Pionierin mit Vorbildwirkung: Das Thema Altern aufblühen lassen und Emanzipation und Gleichbehandlung fördern – Themen, denen sich Rosemarie Kurz noch immer mit Herzblut widmet. In ihrer Biografie gibt sie persönliche Einblicke in ihre Kindheit und Jugend in der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit. (Foto: R. Kurz/Privat)

„Viele der Geschichten, die im Buch vorkommen, habe ich überhaupt erst im Rahmen dessen aufgearbeitet. Dieses Aufrühren im Brei war enorm anstrengend, das ist es noch immer. Es hat mich entsetzlich durchgewürfelt“, erzählt Rosemarie Kurz. Stolze 85 ist sie im Mai geworden – was man ihr jedoch nicht ansieht. Die Energie, die die Bürgerin der Stadt Graz (ein Titel für besondere Verdienste, der mit dem 60. Lebensjahr verliehen wird) ausstrahlt, ist ansteckend. Eine Energie, die sie ihr ganzes Leben lang in zig Projekte fließen ließ: Nach 25 Jahren als Lehrerin startete sie ein Volkskundestudium, wirkte währenddessen an der Gründung des Generationenreferates der ÖH Graz sowie der Montagsakademie mit. 1991 rief sie schließlich die GEFAS – die Gesellschaft zur Förderung der Alterswissenschaften und des Seniorenstudiums an der Uni Graz – ins Leben. 1993 schloss sie ihr Volkskunde-Studium ab, jedoch nicht ohne 1999 noch einen Doktortitel dranzuhängen. Und selbst jetzt, mit 85, hält sie noch Lehrveranstaltungen für ältere Menschen via Zoom ab. „Natürlich geht mit dem Alter nicht mehr alles so leicht von der Hand. Das kristalline Gedächtnis wird stärker, dafür leidet das liquide, also das Alltagsgedächtnis. Was ehrlich gesagt schon sehr belastend ist. Um nichts zu vergessen, schreibe ich mir für jedes meiner Projekte To-do-Listen.“

Von der Broschüre zum Buch

Ans Aufhören denkt die gebürtige Grazerin, die in der Wastlergasse in Geidorf aufgewachsen ist und bislang 112 verschiedene Orte bereist hat, trotzdem nicht im Geringsten. „Man muss sich jeden Tag neu finden.“ Weshalb sie auch noch regelmäßig Psychotherapie in Anspruch nimmt, um sich selbst besser kennenzulernen. „Sich seine Themen und Traumata anzuschauen, ist wichtig. Egal, wie alt man ist.“ Sämtliche Aspekte ihres Selbst zu zeigen, davor hat Kurz auch in bei ihrem Buchprojekt keine Scheu. „In meinen Geschichten findet sich nichts Oberflächliches, es ist vielmehr ein Sich-Zeigen mit allem.“ Wie der Plan zu einer Biografie überhaupt entstand? Als Basis dienten Kurzgeschichten, die die Grazer Pionierin eigentlich in eine Broschüre für ihre Verwandten verpacken wollte – „um meinen Nachkommen auf eine unterhaltsame Art mitzuteilen, was ich alles erlebt habe. Schließlich rief ich Natalie an um zu fragen, ob sie Lust hätte, mit mir ein Buch zu schreiben.“

 

„In meinen Geschichten findet sich nichts Oberflächliches, es ist vielmehr ein Sich-Zeigen mit allem.“ – Rosemarie Kurz

 

Kurzgeschichte trifft Zeitgeschichte

Rosemarie Kurz’ Biografie wird von Natalie Reschs Buchverlag „Kintsugi” herausgegeben. Die gebürtige Steirerin ist in der heimischen Kulturszene keine Unbekannte – unter anderem arbeitete sie für La Strada und ist Co-Autorin des der Publikation „Graz – Porträt einer Stadt”. (Foto: kin-tsugi.at/Sascha Pseiner)

Kennengelernt haben sich Kurz und Resch allerdings bereits ein paar Jahre davor. „Ich habe das MEGAPHON-Filmprogramm kuratiert und Gesprächspartner zum Thema ‚Sexualität im Alter‘ gesucht. Dafür habe ich Rosemarie kontaktiert“, erzählt die Autorin und Gründerin des Verlags Kintsugi, der sich auf Biografien und Porträts konzentriert. Finanziert wurde Kurz’ Biografie „Unruhestand! Gelassener werde ich nie.“ über Crowdfunding. „Für mehr als eine Broschüre mit meinen Kurzgeschichten hätte es sonst nicht gereicht, und immerhin war Natalie so mutig, ihren Verlag während der Coronakrise zu gründen“, so die 85-Jährige. Von der gemeinsamen Arbeit ist sie begeistert: „Natalie verbindet ihr starkes Mitfühlen und ihr breit gestreutes Wissen mit ihrem Schreibtalent.“ Eine klassisch lineare Biografie darf man sich von „Unruhestand!“ jedoch nicht erwarten. Stattdessen gibt’s ein charmantes Potpourri aus lustigen Kurzgeschichten, gekonnt mit zeitgeschichtlichen Exkursen und Aspekten des Hier und Jetzt verwoben und gespickt mit anschaulichen Illustrationen und Faktenboxen, etwa zur damaligen Besetzung der Franckstraße in Graz. Dazu das Kapitel „Happy go lucky“, in dem Kurz ihre Überlebensstrategien über all ihre Lebensjahrzehnte schildert. „Ganz ehrlich: Ohne Natalie wäre es nicht mehr als eine Aneinanderreihung an Kurzgeschichten gewesen“, betont Kurz. Erscheinen soll das Buch noch im Dezember, auf jeden Fall vor Weihnachten.

Anja Fuchs