Sathalanalat Paxathipatai Paxaxon Lao, die Demokratische Volksrepublik Laos, hat ihren Dornröschenschlaf in den grünen Hügeln Indochinas beendet. Bonjour, Monsieur Touriste!
Abfahrt? „Sofort“, hatte der alte Schiffer unten auf der taufeuchten Sandbank in Luang Prabang gedeutet und war mit dem Steuerrad in der Hand wieder den Lehmpfad hinauf zur Hafenpromenade geklettert. Das war vor drei Stunden gewesen, als die Sonne blutrot die Morgennebel am Fluss durchstach und die ersten Händler mächtige Säcke über die morsche Holzplanke auf den hellgrünen Mekong-Kahn Nr. 116 balanciert hatten. Sachtes Schaukeln, scheue Blicke und gebücktes Warten im Frachtraum des schmalen Langboots, das unter dem Wellblechdach viel zu nieder war zum Stehen und auf dem Wellblechdach später zu heiß zum Sitzen. Zu Mittag war er jedenfalls wieder da, mit einem Bündel Bananen in der Hand, ein neues Steuerrad beiläufig neben sich. Zeit mag Geld sein, in anderen Teilen der Welt – aber nicht in Laos.
Laos lag einmal im einstigen Hinterindien und war eine französische Kolonie. Schläfrig ist es immer noch und so manche Baguettes könnten fast noch von damals stammen. Knapp sieben Millionen Menschen besiedeln Laos, von den Hochländern an der südchinesischen Grenze bis zu den Mekong-Katarakten an der Grenze zu Kambodscha. Formell unabhängig wurde Laos 1953: Die Laotische Revolutionäre Volkspartei trat mit der Ausrufung zur Volksrepublik 1975 an die Macht und hat diese bis heute abzugeben vergessen. Den 70 Volksgruppen war das Politcredo wohl stets egal – ein bunter Ethno-Mix, der die Sprachen der ehemaligen Besatzer (Französisch, Vietnamesisch, Chinesisch) oft besser spricht als Lao.
Vientiane ist wohl die Hauptstadt von Laos, doch jede thailändische Kleinstadt atmet heftiger. Eine Dreiviertelmillion Menschen lebt ein geruhsames Leben rund um die Gartenstadt am Mekong. Der markanteste Bau ist weiterhin der Patou Say, ein Nachbau des Pariser Triumphbogens, an dem seit über 45 Jahren herumgebastelt wird. Neben bräunlichen Käfern haben sich längst auch Souvenirhändler eingenistet: Am besten gingen immer schon die T-Shirts mit dem roten Stern, meint Mr. Ho, wie er sich nennt, und öffnet eine weitere Dose Lactasoy, den Energydrink der lokalen Schickeria.
Weiterkommen ist oft schwierig im Lande, auch wenn die legendären 30-Sitzer-Antonov-Propellerflieger von Lao Aviation längst im Museum stehen. Straßen zur größten archäologischen Fundstätte des Landes, der legendären Ebene der Tonkrüge, sind in der Regenzeit nicht selten vermurt oder vermint oder beides und jedenfalls unpassierbar. Der Mekong bildet oft immer noch die einzige Verbindung in den Nordwesten Indochinas, auch wenn die neue Zeit Gefallen am Rausch der Geschwindigkeit gefunden hat. Laos ist zum kalkulierbaren Adventure-Trip geworden: Innerhalb der letzten neun Jahre haben sich die Besucherzahlen verzwanzigfacht – weit über 800.000 Touristen jährlich, davon 90 Prozent Thais.
Die raketenartigen Speedboote kündigen sich schon viele Flusskilometer vorher mit ohrenbetäubendem Geknatter an: Acht Stunden bloß vom Goldenen Dreieck bis Luang Prabang, angeschnallt, Sturzhelm, Schalldämpfer, kreischend durch die brausende Gischt – Höllenlärm und Heidenspaß für Herr und Frau Urlauber. Für so manche geht es dann noch nach Vang Vieng, wo sich inmitten pittoresker Kegelkarstfelsen ein überschaubarer Tagesablauf aus Höhlenbesichtigung (vormittags), Lkw-Schlauch-Rafting (nachmittags) und Opiumhöhle (nachts) für wahre Freaks herauskristallisiert hat, die hier wochenlang die Zeit totschlagen – Big Business auch für die Ortspolizei, die sich mit allwöchentlichen Razzien kein unbescheidenes Zubrot verdient.
Mein Kutter Nr. 116 kann da nicht mithalten als „slow slow boat“, wie auch auf dem handgeschriebenen Fahrplan in Luang Prabang vermerkt war. Nicht einmal zehn Euro kostet die 30-Stunden-Fahrt stromaufwärts, gemeinsam mit kecken Kampfhähnen, kartonverpackten chinesischen Satellitenschüsseln, Paletten von Außenbordmotoren und schlafenden Bauersleuten. Neben uns wurmstichige Einbäume in glatten Lagunen und haushohe Schwemmkegel im feuchten Grün, über die Arbeitselefanten Treibholz schleppen, langsam und ohne Hast.
Bis zur Abenddämmerung reicht es gerade noch für eine Sandbank, die für solche Fälle nicht unvorbereitet scheint – ein Bambusverhau mit Schlafkojen hinter löchrigen Moskitonetzen, dazu dicklich süßer Tee im diffusen Schein einer Petroleumlampe. Die Mannschaft vertäut den Kahn, tief unten am Ufer, und zieht dann weiter, hinein in die Dunkelheit. Ihre Opiumpfeifen aus armdicken Bambusrohren haben sie geschultert, einem vergnüglichen Abend entgegen. Abfahrt morgen? Vielleicht zeitig. Vielleicht auch nicht. Laos hat Zeit.
GÜNTHER SPREITZHOFER
Info Mekong
Reisezeit | Topografie: Im größten Teil des Landes herrscht schwüles Tropenklima, im Hochland ist es kühler.
Während der Regenzeit von Mai bis November ist es am heißesten, die Trockenzeit dauert von Dezember bis April.
Laos hat keinen Zugang zum Meer und grenzt im Norden an China, im Osten an Vietnam, im Süden an Kambodscha und im Westen an Thailand und Myanmar. Abgesehen von der Flussebene am Mekong entlang der Grenze zu Thailand ist das Land bergig, insbesondere im Norden, und teilweise dicht bewaldet.Einreise: Visum erforderlich!
Info: laoembassyvienna.la (Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Laos, Honorarkonsulat in Wien).An den Hauptgrenzen und Flughäfen meist auch vor Ort erhältlich (30 USD).
Zum Weitersurfen:
www.visit-mekong.com (Mekong Travel and Asia Tourism)
www.tourismlaos.org (Lao National Tourism Administration)
www.ecotourismlaos.com (Ecotourism Laos)
Beitragsbild: istock.com/AsianDream