Holler und Holzkluppen

Hat der Muskateller mehr Tiefe, als sein Ruf verspricht? Eine Verkostung, die zeigt: Was unkompliziert ist, muss noch lange nicht einfach sein.

Der Gelbe Muskateller ist quasi der Patriarch im Muskateller-Stammbaum. Auf ihn ist Verlass. Beständige, angenehm florale und traubige Note, vertrauter Geschmack. Berechenbar, würden die einen sagen. Die perfekte „Einstiegsdroge“ sagen andere. Die „anderen“ sitzen diesmal am Weingut Kodolitsch am Seggauberg zusammen. Draußen hüllt der Nebel die Weingärten in herbstliche Watte, drinnen hängt sich der Duft des Duroc-Schweinsbratens im Ofen an Nase und Bauch. Hausherrin Christa Kodolitsch und Mario Weber, Winzer des Weinguts, haben den Tisch gegenüber dem Kamin bereits gedeckt.

VIA-Weinverkosstung

Hier nehmen diesmal für die VIA-Weinverkostung die Winzerkollegen Walter Skoff, Stefan Krispel und Sebastian Rudloff, derzeit Praktikant am Weingut Kodolitsch, Platz. Christa Kodolitsch kuratiert hier seit mehr als zwei Jahrzehnten wechselnde Ausstellungen internationaler Kunstschaffender von Jordi Alcaraz über Felix Haspel und Michael Kos bis Nikolaus Moser und Uta Heinecke. „Früher war unser Haus viel kleiner. Da hingen die Bilder zum Teil zwischen den Rebzeilen – mit Holzkluppen an Wäscheleinen befestigt. Mittlerweile haben wir einen Platz geschaffen, der viele schöne und wertige, mitunter sogar in Österreich einzigartige Ausstellungen möglich macht“, erzählt die passionierte Kunstliebhaberin.

Der Weinkeller aus der Mitte des 18.Jahrhunderts ist immer noch erhalten. Die alte Weinpresse ist nach wie vor Herzstück des Hauses. (Foto: Jimmy Lunghammer)

Doch Kunst und Essen müssen warten. Erstmals geht es um den Stargast im Glas: Muskateller aus der Süd- und Südoststeiermark. „Ich habe mit 18 Jahren auf dem Weingut Kodolitsch die Möglichkeit erhalten, den Weingarten und den Keller zu übernehmen, und habe schon damals gespürt: Das ist mein Berg!“, gesteht Mario Weber, Winzer und Kellermeister. Im Herbst 2010 hat er den ersten eigenen Wein produziert. Seither ist viel Zeit und Mühe in seine Arbeit geflossen, die bereits mit einigen Preisen und Auszeichnungen belohnt wurde – etwa 2018, als Weber bei der 9. Concours Mondial Du Sauvignon, der Weltmeisterschaft des Sauvignon blanc, die höchste Auszeichnung, die „Denis Dubourdieu Trophy“, gewann.

 

 

„Die physiologische Reife beim Muskateller ist wesentlich. Seit 2017 bauen wir ihn im großen Holzfass aus.“ Mario Weber, Weingut Kodolitsch

Damals wie heute

Schon vor 300 Jahren war Familie Kodolitsch im Weinbau tätig. Damals noch Kaiserreich, lagen rund 120 Hektar der Weingärten in der Untersteiermark, dem heutigen Slowenien. Nach den Enteignungen des Ersten Weltkrieges blieb nur mehr das kleinste, aus dem Jahr 1745 stammende Weingut am Seggauberg übrig. Drei Hektar, die seit der Übernahme des Ehepaars Christa und Nikolaus Kodolitsch 1992 wieder auf zwölf Hektar Rebfläche ausgebaut wurden.

Dem Muskateller gewährt man weniger als einen Hektar, doch die Riede Rosengarten mit kalkhaltigem Boden und bis zu 350 Meter Seehöhe bringt Einwandfreies hervor. „Seit 2017 bauen wir alle Lagenweine im Holzfass aus“, erklärt Weber und schenkt uns einen Muskateller-Flight der Jahrgänge 2018 bis 2020 ein. „Alles, was eine Riede auf dem Etikett trägt, muss für mich aus einer mindestens 20 Jahre alten Anlage stammen“, so Webers Winzercredo. Der 2019er süßelt angenehm nach Rosenblüten an Spätsommertagen und kommt minimal ölig daher. „Auch ein einfacher Wein muss der Sorte entsprechen“, schiebt Walter Skoff nach und nickt den Flight anerkennend ab.

Die Nebelsuppe durch den Wintergarten löffeln: Der herbstliche Rahmen der VIA-Weinkost am Weingut Kodolitsch bleibt leuchtend. (Foto: Jimmy Lunghammer)

Mit fast 40 Jahren Selbstständigkeit im Weinbusiness darf man Skoff berechtigterweise als alten Hasen bezeichnen und trotzdem meint der passionierte Jäger: „Ich bin in Sachen Wein noch lange nicht ausgelernt.“ 15 Prozent seiner Weingärten besetzt er mit Muskateller. In seinem Muskateller-Gebietswein 2020 orten wir einen Touch Holler – bei dieser Rebsorte fast schon als Fußabdruck der südsteirischen, konventionellen Klassik einzustufen. Im Muskateller Eichberg 2020 erkennt man vergleichsweise eine bitzelnde Säure und Zitrus in der Nase.

Hohenegg 2019

Spannender ist die Lage Hohenegg 2019. „Dort haben wir karge Böden und lassen die Reben oft bis Anfang November am Stock“, so Skoff. Die Physiologie des Muskatellers vergleicht er mit einer schwangeren Frau: „Nicht zu früh ernten. Das Kind muss reif geboren werden.“ Olfaktorisch wollen die Winzerkollegen Orange, Nelke, Ingwer erkennen. Auch uns drängt sich das Bild einer mit Nelken gespickten Orange am Weihnachtsbaum auf. Den Duft haben wohl viele seit ihrer Kindheit abgespeichert. Stefan Krispel, seines Zeichens Weinbauer im Vulkanland, unterstreicht die überbordende Reife des Weins. „Man schmeckt die Sorte zu 100 Prozent.“ Einigkeit auch in Hinblick auf die Lagerfähigkeit des Muskatellers: „Sie nimmt zu.“

„Der sperrt nicht zu“

Muskateller zieht vor allem bei jungem Weinpublikum und eingefleischten Fans. „Er funktioniert spitz formuliert als Einstiegsdroge perfekt und eignet sich gut als Aperitif, weil er geschmacklich alles andere als zusperrt“, konstatiert Weber. „Ich mag ihn gerne zu asiatischen Gerichten wie rohem Fisch mit Koriander“, verrät Kodolitsch. Auch mit Burrata und gedünstetem Blattspinat mit Zitronenzesten matcht der Wein, werden wir später feststellen. Erst mal widmen wir uns aber der Stradener Rosenberg-Vertikale des Weinguts Krispel. Geschichtete Plattenkalksedimente bilden den Untergrund am Ausläufer des Stradner Kogels.

Die Reben wachsen hier unter dem Meeresspiegel in der ehemaligen Flachwasserzone. Zum Einstieg Krispels Muskateller-Ortswein: schöne Schale. Warm dank Vulkanlandböden. Darauf präsentieren sich auch die Jahrgänge 2002, 2019 und 2015 der Riede Rosenberg rund und wohlig. „Der Muskateller hat viel zu unserer TerroirStudie beigetragen. 2010 haben wir den kompletten Berg umgegraben und herausgefunden, dass dort Kalkböden vorherrschen. Das bringt die Salzigkeit in den Wein“, erklärt Krispel. Im 2015er liegt ein guter Drive. Krispel würde ihn etwa zu gebackenem Karpfen servieren. Ein mittelbarer Weihnachtstipp.

Tina Veit-Fuchs

Beitragsbild: Jimmy Lunghammer