In der Republik Kongo dauert es etwas, bis sich Menschenaffen finden lassen. Denn die im Zoo sind entlaufen und die im Busch halten sich gut verborgen.
Der Busch war noch dunkel und Sid wieder einmal nicht sonderlich gut gelaunt. Regen hing in der Luft, die dick und grau war, und die schwarzen Spinnen auf den Mückengittern um die hölzerne Küchenhütte hatten ihre Netze fast fertig. Er schien schon länger zu warten, denn ohne Moses konnte es kein guter Tag werden. Doch der suchte gerade seinen Außenbordmotor, den er an einer unsichtbaren Sandbank mitten in Fluss verloren hatte. Kein Wunder, es hatte schon länger nicht mehr geregnet und nur wenig Wasser floss zu den Flusspferden stromabwärts, was diese ein wenig unwirsch machte, was Sid gar nicht mochte. Das kam vor. Moses war 27 und 1,65 Meter, Sid 23 und 1,82 Meter, beide tief im Kongo aufgewachsen, aufeinander angewiesen, gut gebaut und deshalb keine besonders dicken Freunde. Jung, männlich, das Testosteron fast zum Riechen. Nur gut, dass der Fluss zwischen den beiden lag und Sid bereits alle Orangen auf Bäume und Boote verschossen hatte, die ihm Moses gestern auf die kleine Insel mitten im Fluss gebracht hatte.
Sid war ein Gorilla. Einsam und riesig, mittlerweile allein daheim dort und selbst schuld daran. Schwimmen konnte er nicht. Er hatte die anderen Gorillas auf der sogenannten Junggeselleninsel im Lauf der Jahre alle getötet oder vertrieben, verscheuchte die morgendlichen Stechmücken, schmatzte an einer Melonenscheibe und kratzte sich verlegen am Ohr. Das tat Moses auch, der rosa Badeschlapfen und eine Rangeruniform mit khakifarbenen Bügelfalten trug und seinem haarigen Freund täglich pünktlich um 9 Uhr Obst und Gemüse brachte, um ein wenig Abwechslung in den Blätteralltag zu bringen.
Zu Besuch bei den Affen
Moses lebt mit anderen Wildhütern in einer kleinen Lichtung an den östlichen Ausläufern des Bateke-Plateaus, etwa 130 Kilometer und höchstens vier Checkpoints nördlich der Hauptstadt Brazzaville. Die Hauptstraße in die zentralafrikanische Republik ist großteils irgendwie asphaltiert und streift das Lesio-Louna-Schutzgebiet lediglich 20 Kilometer ostwärts, doch ohne Geländewagen ist ab da kein Fortkommen auf den schlammigen Spurrillen durch meterhohes Elefantengras. Und diese Wagen sind kaum aufzutreiben, gibt es doch in Brazzaville nur einen einzigen Autoverleih, wo ein paar betagte Toyota Landcruiser zu Tagestarifen von 400 Euro gehandelt werden und dennoch über Wochen ausgebucht sind: UNO, Weltbank und die paar NGOs im Land finanzieren potenziellen Geldgebern und Inspektoren gerne einen kleinen Ausflug ins Hinterland. Andere Ausländer sind selten. Und die paar Superreichen in ihren Hummer-Geländewagen, die sich die Gold- und Ölvorkommen des Landes gesichert haben, laben sich lieber an importiertem Hummer und edlem Rotwein, als ihre klimatisierten Villen in der Hauptstadt zu verlassen.
Sonst gibt es in der einstigen französischen Kolonie Republik Kongo nicht allzu viel, was Touristen in großen Scharen locken könnte: Weiterkommen ist überall schwierig, und die paar Tourveranstalter in der Hauptstadt haben merkwürdige Vorstellungen von Angebot und Nachfrage – eine zweistündige Stadtrundfahrt kostet wohlfeile 300 Euro, ein Bootstrip am Kongo 400: Irgendjemand wird das irgendwann bezahlen, solange das auch dauern mag. Oder man warte auf andere Touristen, um Kosten zu sparen, doch das kann Wochen dauern. Auch die legendären Foulakari-Stromschnellen sind am Straßenweg seit Kurzem nicht mehr erreichbar, sodass acht Kilometer busch einwärts marschieren muss, wem danach ist.
Ein Stückchen Geschichte
Das Land liegt im Nordwesten des Kongobeckens, ist seit 1960 unabhängig, hieß dann bis 1965 Kongo-Brazzaville, schließlich bis 1991 Volksrepublik Kongo. Mehr als die Hälfte ist immer noch tropischer Regenwald, der auch zu Trockenzeiten kaum zugänglich bleibt. Außer ein paar Missionsstationen gibt es außerhalb der Hauptstadt Brazzaville kaum Unterkünfte. In Brazaville wurde dem französisch-italienischen Marineoffizier und Afrikaforscher Pierre Savorgnan de Brazza 2006 ein prächtiges Mausoleum direkt am lehmbraunen Kongo-Strom errichtet, die einzige offizielle Sehenswürdigkeit des Landes. Gegenüber erhebt sich die Skyline von Kinshasa, Afrikas größter Metropole und Hauptstadt des großen Bruders Demokratische Republik Kongo (früher Zaire), wo allein dreimal mehr Menschen leben als in der gesamten Republik Kongo zusammen. Hier herüben ist der Bürgerkrieg seit 2003 vorbei, doch die vier Millionen Menschen haben Hunger und andere Sorgen als Nationalparks und nachhaltiges Wirtschaften.
So wurde gewildert, bis kaum mehr ein Gnu und noch weniger Gorillas über waren. Und deshalb hat Moses damals endlich einen Job gefunden: Als Wildhüter im Projet Protection des Gorilles (PPG) der Aspinall Foundation, die seit 1987 in der Republik Kongo und auch im Nachbarland Gabun Gorillawaisenkinder großzieht und dann wieder in freier Wildbahn ansiedelt.
Zwischen 1996 und 2006 wurden 51 Menschenaffen auf einer Fläche so groß wie Salzburg freigelassen, die Moses meist gerne mochten und Sid weniger, weil er den Kleinen immer die Orangen weggeschossen hat. Am liebsten auf vierrädrige Hummer mit Staatsgästen am anderen Ufer seiner Insel bei der Gorilla-Beobachtungsstation, was Moses ein wenig peinlich ist. Aber Gorillas dürfen das. C’est la vie.
GÜNTER SPREITZHOFER
Info:
Visum erforderlich! Botschaft der Republik Kongo (Grabbeallee 47, D-13156 Berlin) oder Honorargeneralkonsulat mit Visumerteilung in Wien,
Tel.: +43 (0)1 40 44 13 00
Anreise: aus Europa Linienflüge mit Air France und Ethiopian Airlines
Reisezeit: tropisches Klima mit kurzen Regenzeiten zwischen Oktober und Dezember und langen Regenzeiten von Mitte Januar bis Mitte Mai. Haupttrockenzeit zwischen Juni und Oktober.
Sights:
Die Hauptstadt Brazzaville liegt an der Westseite des Malebo-Beckens am Kongo und gilt als eine der sichersten Städte Zentralafrikas.
Die Lesio-Louna Gorilla Reserve liegt 130 Kilometer nördlich von Brazzaville (Kontakt: gorille.congo@gmail.com) und organisiert bei Voranmeldung Transport und Unterkunft.
Weitere Ausflugsziele (das historische Dorf M’Bé, der Bleu-See, das Tal der Schmetterlinge, die Foulakari-Stromschnellen am Kongo, die Küstenstadt Pointe-Noire, u. a.) sind unter Umständen kaum erreichbar – abhängig von innenpolitischer Sicherheitslage, jahreszeitlicher Zugänglichkeit, möglichem Zeitaufwand und verfügbarem Reisebudget.
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