Der Chef des Grazer Literaturhauses über neue Projekte, seine Leidenschaft für Juli Zeh und die günstige Großwetterlage der Steiermark.
Herr Kastberger, Sie sind jetzt seit einem Jahr in Graz. Wie gefällt es Ihnen an der Mur?
Ich bin im Salzkammergut aufgewachsen und damit derzeit rein geografisch in einer verkehrten Welt. Aber langsam gewöhne ich mich daran, dass hier der Alpenhauptkamm im Norden liegt und von Süden her fast immer schönes Wetter kommt. An Graz und seiner Umgebung haben meine Familie und ich noch jede Menge zu entdecken. Das einzigartige Schloss- und Schlüsselmuseum etwa, wo ich unbedingt noch hinmuss. Oder das fulminante Greith-Haus. Am Wochenende sind wir von dort aus mit Freunden auf den Spuren von Gerhard Roth durch die Südsteiermark gewandert.
Wie bewerten Sie nach Ihrem ersten Jahr die Grazer Literaturszene?
Die Grazer Literatur ist seit vielen Jahrzehnten ein Markenzeichen und wirkt als solches stark nach außen. So bin auch ich mit einem relativ gefestigten Bild hierhergekommen, das kurz gesagt über die manuskripte, Wolfgang Bauer und Werner Schwab bis hin zu Valerie Fritsch und Clemens Setz reicht. Vor Ort nimmt man dann eine ungeheure Ausdifferenzierung der Szenen wahr, die mich in den feinen Unterschieden, über die sie sich definiert, noch immer fasziniert.
Sie haben sich hier jede Menge Arbeit aufgehalst: Die Leitung des Grazer Literaturhauses und des Nabl-Instituts, dazu noch Ihre Professur für neuere deutschsprachige Literatur. Lassen sich die drei Jobs denn gut verbinden?
Sagen wir statt Job besser Beruf. Dieser lässt sich bewältigen, wenn man die drei Bereiche, die er umfasst, in ihrem notwendigen Zusammenspiel sieht. Genau darauf basiert ja die ganze Konstruktion. Auf einer Stärkung der Verbindung zwischen Forschung, Lehre und literarischer Öffentlichkeit. Wenn man sich unsere Aktivitäten der letzten Monate ansieht, gewinnt man wahrscheinlich einen Eindruck davon, dass dies hier nicht nur als hehres Konzept auf dem Papier steht, sondern tatsächlich gelebt werden will.
„Mit unseren Veranstaltungen im Literaturhaus sprechen wir ganz unterschiedliche Gruppen an.“
Unter anderem sind Sie angetreten, um das Literaturhaus zu einem Treffpunkt für Literaturinteressierte zu machen. Wie schreiten diese Bemühungen voran?
Vielfalt tut dem Programm des Literaturhauses mit Sicherheit gut. Mit unseren Veranstaltungen sprechen wir ganz unterschiedliche Gruppen an, je nachdem, ob wir jetzt eine gehypte Jungautorin wie Stefanie Sargnagel oder Größen wie Alfred Kolleritsch oder Mircea Cărtărescu zu Gast haben, um nur ein paar jüngste Beispiele zu nennen. Wenn Michael Ostrowski aus Michael Glawoggers nachgelassenem Buch 69 Hotelzimmer liest, sitzen wieder ganz andere Menschen im Publikum. Literatur ist heute eine sehr offene Sache und sollte meiner Meinung nach auch als eine solche vermittelt werden. Aber freilich gibt es für Literatur auch ein Stammpublikum, das in seinen Erwartungen von uns pfleglich behandelt wird.
Welche Projekte sind ansonsten in Planung?
Mit der sogenannten „Montagsbühne“ etablieren wir in den nächsten Monaten ein Format, bei dem junge Schreibende aus der Stadt mit Kolleginnen und Kollegen von außen zusammentreffen. Unsere Reihe „Klassiker revisited“ richtet sich an Oberstufenklassen, erfreut sich aber auch beim allgemeinen Publikum großer Beliebtheit. Demnächst spricht in dieser Reihe Daniela Strigl über Marie von Ebner-Eschenbach. Im März gibt es eine Ausstellung und einen Auftritt des Anarcho-Kabarettisten und Sprachkünstlers Alf Poier, im April ein wissenschaftliches Symposium zur Frage der Werkstätten von Dichtern.
„Im Augenblick ist der Wert der Literatur unbestritten. Offensichtlich erwartet man sich, je weniger die Politik mit aktuellen Krisen zurande kommt, zusehends mehr Antworten von der Kunst.“
Schlägt man die Zeitung auf, gibt es derzeit wenig Positives zu berichten. Flüchtlingsproblematik, Krisenherde, der weltweite Terror, Umweltkatastrophen – sind bewegte Zeiten denn ein guter Nährboden für Literatur?
Zumindest wird schon seit einiger Zeit nicht mehr öffentlich über den „Tod der Literatur“ diskutiert. Solche Debatten kehren, aus feuilletonistischer Langeweile, ansonsten ja alle paar Jahre wieder. Im Augenblick ist der Wert der Literatur unbestritten. Offensichtlich erwartet man sich, je weniger die Politik mit aktuellen Krisen zurande kommt, zusehends mehr Antworten von der Kunst. Ich bin nicht davon überzeugt, dass Literatur solche Antworten tatsächlich liefern kann. Aber Probleme werden deutlicher, wenn man gute Bücher liest.
Wir hören immer wieder die alte Leier, dass das Internet dem Buch das Wasser abgräbt. Ist es heute tatsächlich schwieriger, junge Menschen für Literatur zu begeistern? Haben Sie eine Idee, wie man die Kids hinter dem iPad hervorholt?
Vielleicht versucht man es einmal umgekehrt und bringt Literatur auf ihre Devices. Da entwickeln sich ja auch neue Formen des Schreibens. Im letzten Herbst hatten wir Blogger, Twitter-Stars, Selfpublisher und andere Leute im Literaturhaus zu Gast, die im weitesten Sinne literarisch arbeiten, sich dabei aber jenseits des klassischen Betriebes bewegen. Das war höchst aufschlussreich, gerade auch für eine mögliche Zukunft der Literatur.
Im letzten Jahr waren Sie Juror beim Bachmannpreis. Was war das für eine Erfahrung für Sie?
Mir hat es in Klagenfurt Spaß gemacht und ich fahre deshalb auch heuer wieder hin. Sicher gibt es viele Einwände gegen die ganze Art dieses Wettbewerbes, aber zumindest verschafft er der Literatur eine ungeheure mediale Präsenz. Ab und an hatte ich sogar das Gefühl, dass es möglich gewesen ist, vor den Fernsehkameras tatsächlich über Dinge zu sprechen, die mich an Literatur interessieren. Das Verstörungspotenzial beispielsweise, das ihr innewohnt.
Dürfen wir zum Abschluss neugierig sein: Welches Buch/welche Bücher liegen gerade auf Ihrem Nachttisch?
Juli Zeh: Unterleuten. Ein grandioser Gesellschaftsroman, unbedingt zu empfehlen.
CLAUDIA PILLER-KORNHERR
Klaus Kastberger
Geboren 1963 in Gmunden (OÖ), seit März 2015 Professor für neuere deutschsprachige Literatur am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz und Leiter des Literaturhauses Graz. Von 1996 bis 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek und Privatdozent an der Universität Wien. Arbeit als Literaturkritiker u. a. für Falter, Die Presse und ORF. Kuratierung von Ausstellungen und Veranstaltungsreihen, Leitung mehrerer FWF-Forschungsprojekte, darunter www.handkeonline.onb.ac.at. Zahlreiche Bücher, Aufsätze und Vorträge vor allem zur österreichischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe Ödön von Horváths (ab 2009 bei de Gruyter, als Leseausgabe bei Reclam), seit 2015 Juror beim Bachmannpreis.
Beitragsbild: Robert Frankl