Vietnam – vom verschlafenen Fischerdorf zum Auffangbecken für Weltenbummler. Doch der kleine Küstenort Mui Né sorgt nicht nur kulinarisch für Nervenkitzel.
Beeindruckend ist Vietnam ja schon kurz nach Verlassen des Flughafens in Ho-Chi-Minh-Stadt, wenn das Taxi, in dem man sitzt, nach mehrmaligem Überholtwerden von Mopeds mit mindestens vier Personen – Säuglinge in Sandwichposition nicht mitgezählt – am ersten Mega-Kreisverkehr haltmacht. Vor der Einfahrt stapeln sich die motorisierten Zweiräder, eine Sardinendose ist nichts dagegen. Wir zählen gut 62 Reihen quer und 30 bis 40 Reihen längs nach hinten. Neben Großfamilien werden hier offensichtlich auch ganze Wohnungseinrichtungen per Moped transportiert, von mehreren Umzugskisten über Kühlschränke bis hin zu Sofas. Mengen, für die ein Österreicher einen Klein-Lkw hernehmen würde. Mindestens.
Das ehemalige Saigon vibriert, leuchtet und blinkt an allen Ecken und Enden, der Verkehr ist lawinenmäßig und scheint doch irgendwie reibungslos zu funktionieren. Unser Weg führt jedoch raus aus der City, etwa 200 Kilometer in Richtung Osten. Zieldestination: Mũi Né, ein ehemaliges Fischerdorf in der Provinz Bình Thuâ˙n am Südchinesischen Meer (in Vietnam als „East Sea“ bezeichnet), mittlerweile jedoch touristisch etabliert – und das nicht mehr nur bei alternativ angehauchten Backpackern. Fast auf jedem Schild entlang der (in Richtung Land immer holpriger werdenden) Straßen, ob Restaurantwerbung oder Reklametafel, fällt uns das Wort „Dong“ auf. Das eigentlich – zumindest nach unserem damaligen Wissensstand – die vietnamesische Währung bezeichnet. Als unser Taxifahrer zu telefonieren beginnt und auch hier ständig das Wort „Dong“ fällt, fangen wir uns doch zu wundern an. Mehr dazu später. Erst einmal zur Währung: Wer Euro gewohnt ist, hat im Umgang mit vietnamesischen Dong schnell einmal den Eindruck, zu prassen. Ein Euro sind umgerechnet immerhin mehr als 25.000 Dong. Das Gefühl, für eine gekühlte Kokosnuss am Strand 50.000 hinzublättern, ist schon speziell.
Fisch, Fisch und nochmals Fisch
Speziell ist aber auch das tropisch-feuchte Klima, das uns – nach einigen Stunden Schlaf immer noch jetlaggeplagt, aber neugierig und hungrig – in Mũi Né empfängt. Der Garten des Resorts, in dem wir fast am von Palmen, Resorts und Surfschulen gesäumten Suoi Nuoc Beach wohnen, gleicht einem paradiesischen Urwald. Noch paradiesischer wird es für mich beim Frühstück, als mir die knallig bunten, riesigen Drachenfrüchte und Papayas ins Auge springen. Obwohl die Entscheidung schwerfällt: Zuerst Früchte oder doch lieber eine Pho, die traditionelle vietnamesische Nudelsuppe, die man hier als morgendliche Stärkung schlürft? Mit Fischsoße, versteht sich.
Fische bzw. die Fischerei sind in Mũi Né sowieso ein großes Thema. Obwohl der Tourismus auf der Halbinsel vor allem durch die guten Windbedingungen für Surfer und Kiter mittlerweile floriert, gilt die Fischerei immer noch als bedeutende Einnahmequelle, und rund um das Dorf und die ca. 20 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Phan Thiet stehen zahlreiche Fabriken, in denen eine der Spezialitäten Vietnams, die traditionelle Fischsoße, produziert wird. Die für europäische Nasen riecht wie Fisch, der schon etwas zu lange das Zeitliche gesegnet hat.
„Mũi“ bedeutet übrigens Nase bzw. Halbinsel und „Né“ steht für Schutz suchen oder sich verstecken – so nannten die Fischer das Kap, an dem sie ihre Boote je nach Witterung auf der einen oder anderen Seite der Landzunge vor der stürmischen See beschützen konnten.
Alles, was kreucht und fleucht
Neben Meeresgetier aller Art sind die Vietnamesen esstechnisch aber nicht zimperlich – was hier auf den Teller kommt, ist ein bunter Streifzug durch die Zoologie. Mehr als einmal bin ich überrascht, als sich das brutzelnde Spanferkel vor dem Lokal bei genauerem Hinsehen als Alligator entpuppt. Auch die Schlangen, Schildkröten und Skorpione, die vor den Restaurants in Glasbehältern herumkrebsen, sind definitiv nicht zum Anschauen bestimmt. In Vietnam sucht man sich sein späteres Essen eben gerne aus, solange es noch lebt. Nicht unser Stil, aber satt wurden wir trotzdem jedes Mal. Und das meist zu einem Preis, der Europäer beim ersten Mal denken lässt: Die müssen sich verrechnet haben. Für ein Abendessen für zwei inklusive Vor- und Hauptspeisen, frischer Trinkkokosnuss und Bier blättert man oft keine zehn Euro hin. Noch günstiger durchs kulinarische Repertoire kostet man sich in den Straßenküchen. Meine simplen Favoriten: Die frisch-knackigen Sommerrollen und die traditionelle Nudelsuppe, die Pho, beides gewürzt mit Fischsoße (hier passt das gewöhnungsbedürftige Aroma).
Neben kulinarischen Experimenten und regem Nightlife hat die Gegend um Mũi Né aber noch mehr zu bieten. Die starken Winde und Wellen am Kap locken Kite-, Windsurfer und Wellenreiter an, an den beiden Stränden des Ortes, Suoi Nuoc und Ganh Beach, lässt es sich in hippen Cafés und Bars herrlich chillen (und zusehen). Am besten übrigens bei einem „Ca phé sua da“, einem Eiskaffee mit Kondensmilch. Muss man probiert haben.
Um die Gegend zu erkunden, haben wir uns einen Roller ausgeborgt – die einfachste Art, hier schnell von A nach B zu kommen. Wertvolle Überlebenstipps bei viel Verkehr: sich dem Strom der Mopedmasse anpassen, beim Überholen hupen. Zugegeben: Auch abseits der zehn Kilometer langen Hauptstraße Mũi Nés ist es – den teils spektakulär beladenen anderen Verkehrsteilnehmern, der schillernden Gegend mit Sanddünen und bunten Häuschen im Kolonialstil sei Dank – gar nicht so leicht, konzentriert zu bleiben.
Von Dünen und Dongs
Sehenswert sind in jedem Fall die Märkte in Mũi Né und Phan Thiet, auf denen man neben dem üppigen Fang der Fischer (und sämtlichen anderen Tieren, die man unserorts nicht isst) herrliches exotisches Obst zu Spottpreisen erstehen kann. Aufpassen mit den Bananen – die riesigen Dinger sehen zwar verlockend aus, allerdings handelt es sich in den meisten Fällen um mehlige Kochbananen, die mit einer uns bekannten Banane nichts gemein haben.
Weitere Sightseeing-Stationen: das Fisherman Village, vor dem Hunderte der bunten, runden Bambusboote im Wasser liegen (die einst angeblich so gebaut wurden, um sich die Fischerbootsteuer zu ersparen) und die Fischer ihren Fang am Strand zum Kauf anbieten. Entweder selbst oder mittels gebuchter Jeep-Tour erkunden lassen sich die bizarren roten Sanddünen und der Fairy Stream, ein Fluss, der sich durch einen leuchtend roten, von skurrilen Felsformationen und frischem Grün durchzogenen Canyon schlängelt und den man barfuß durchwandert.
Neben den roten Dünen gibt es auch noch die riesige „White Sand Dune“. Bei unserem Besuch herrscht hier herrliche, aber zugleich schon fast unheimliche Stille, durchbrochen nur durch das gelegentliche Pfeifen des Windes. An guten Tagen kann es, Berichten zufolge, aber schon von Touristenmassen wimmeln, die sich beim Quadfahren durch die Dünen austoben. Wie auch immer –
der Blick von ganz oben über den riesigen Lotus Lake ist spektakulär, man fühlt sich winzig und bescheiden.
Weiters auf unserer Agenda und von Mũi Né aus gut mit dem Bus erreichbar: die im 9. Jahrhundert aus Sandstein gefertigten Po-Shanu-Cham-Tempelruinen und das nahe liegende Denkmal für die Kriegshelden, die dort 1947 nach einem Überraschungsangriff eine Schlacht gegen die Franzosen gewannen. Von der ehemals französischen Besatzung zeugen auch noch ein Bunker und ein Aussichtsturm.
Zu guter Letzt noch die schuldig gebliebene Info zum allgegenwärtigen „Dong“: Das Wort steht nicht nur für die vietnamesische Währung, sondern hat, je nach Betonung, zig verschiedene Bedeutungen. Besser, man beschränkt sich in der Landessprache auf „Chào“ (Guten Morgen/Tag/Abend) und bleibt ansonsten bei Englisch – so vermeidet man am ehesten, dass etwas Falsches auf dem Teller landet . . .
ANJA FUCHS
Info
Erreichbarkeit: Flug nach Ho-Chi-Minh-Stadt und dann mit dem Auto (4 bis 5 Stunden) nach Mui Né, das ca. 200 km weiter südlich liegt
Visum: Österreichische Staatsbürger benötigen für die Einreise ein Visum (Antrag muss mehrere Wochen vor der Reise gestellt werden).
Klima: tropisch, im Winter trockener als im Sommer
Beste Reisezeit: in der Trockenzeit von Oktober bis April; nicht empfehlenswert: August und September (höchste Regenwahrscheinlichkeit)
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