Eine besondere Atmosphäre zwischen Freibier, barockem Glanz und Freigeist liegt über der östlichsten Großstadt Deutschlands: Dresden ist ohne ihre bewegte und bewegende Geschichte nicht zu fassen.
Die Bilder vom zerbombten Dresden sind weltberühmt – wer sie noch nie in einer Doku gesehen hat, stelle sich ein zwölf Quadratkilometer großes Trümmerfeld vor und 25.000 tote Menschen, überrascht am 13. und 14. Februar 1945 vom Angriff britischer und amerikanischer Bomber. Ein Feuersturm legte die Kunst- und Kulturstadt in Schutt und Asche. Damals ein weiterer Grund für Durchhalteparolen der NS-Propaganda.
Auch wenn das definitiv nicht der ideale Einstieg in eine Reisereportage sein mag, braucht es dieses Bild im Hintergrund, um in Dresden angemessen staunen zu können: also endlos. Und auch, um die besondere, durchaus etwas verwirrende Atmosphäre dieser extrem vielseitigen Stadt fassen zu können. Denn hinter der wieder aufgebauten Stadt, der wieder erbauten Frauenkirche, den wieder auferstandenen Prunkräumen des Grünen Gewölbes – um nur wenige Beispiele zu nennen – müssen so unendlich viel Trotz und Stolz stehen. Ein Trotzdem, das ganz viel Kraft gibt.
„Wir können alles wieder aufbauen, außer das Klima!“
Auf einem Transparent in deutscher und englischer Sprache an der Fassade der Dresdner Frauenkirche im Sommer 2023
Wenn man als Touristin (jährlich werden etwa 3,8 Millionen Übernachtungen gezählt) durch die sächsische Stadt flaniert, erlebt man fußläufig so viele Facetten, dass man sich mit einer Einordnung schwertut. Die Stadt an der gemütlichen Elbe präsentiert den barocken Prunk und Glanz des angeberischen August des Starken genauso wie kommunistische Plattenbauen, die den kunterbunten Schaubuden-Sommer (Dresdens La Strada) umsäumen, sowie eine astreine Punkkultur inklusive Freibier und Straßenköter-Konzerten in der „Bunten Republik Neustadt“, einem 1990 entstandenen Zentrum der Alternativkultur. Am meisten profitiert, wer offenen Geistes und Herzens genau diese Vielfalt genießt und staunend zwischen manchmal räudigen Graffitis, modernen Galerien und den pausbäckigen Barockengerln herumspringt, gnadenlos eingewickelt von goldenem pompösen Zierat.
Theater oder Kirche?
Ihre Kuppel überragt die Altstadt – ein Besuch der legendären Frauenkirche steht ganz oben auf der Wunschliste: Die wenigen Überreste der protestantischen Kirche aus der Mitte des 18. Jahrhunderts waren sehr lange Zeit ein Mahnmal gegen den Krieg und später Symbol der DDR-Friedensbewegung. Nach der Wende begann der spektakuläre zwölfjährige Wiederaufbau. 2005 war die Weihe des neuen alten Gotteshauses, dessen einladend helles Inneres mit seinen fünf Emporen wie ein Theatersaal anmutet und heute auch zahlreichen weltlichen Events Raum gibt. Großzügig und komfortabel ist der Aufgang zur Laternenplattform oberhalb der Kuppel, wo man eine wunderschöne Aussicht über Dresden genießt. Sehr berührend die Tatsache, dass das neue Kuppelkreuz von einem Londoner Kunstschmied, Sohn eines an der Bombardierung 1945 beteiligten britischen Piloten, gestaltet wurde.
„An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“
Erich Kästner, Schriftsteller und gebürtiger Dresdner
Wer sich die historische Ausstellung zum Wiederaufbau angesehen hat, braucht denn auch wieder frische Luft und kann über die Brühlschen Terrassen in Richtung Theaterplatz spazieren. Zehn Meter oberhalb der Elbe bummelt man hier durch eine Parklandschaft auf dem „Balkon Europas“, den Kurfürst Friedrich August II. – ja, der Starke – seinem Günstling Graf Heinrich von Brühl schenkte. In wenigen Gehminuten erreicht man von hier das berühmteste Opernhaus Deutschlands, die Semperoper, die sogar zwei Mal wieder aufgebaut wurde. 1869 nach einem Brand – der Neubau wurde erneut dem Exilanten Gottfried Semper übergeben – und 1985, 40 Jahre nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Während die Oper im Stil der italienischen Hochrenaissance gehalten ist, schwelgt man beim nahen Zwinger in schwülstig-barocken Sphären. August der Starke ließ ein Gesamtkunstwerk rund um einen rechteckigen Garten errichten, das in Pavillons und Galerien die alten Meister präsentiert, und wer draußen von Engel zu Engel spazieren will, hat entlang der Balustrade auf dem Dach des Zwingers die beste Aussicht.
Prunk und Pracht
Retour wieder in Richtung Augustusbrücke kommt man am Grünen Gewölbe nicht vorbei – ein Besuch ist ein Muss! Denn diese ebenfalls rekonstruierte Schatzkammer im Residenzschloss sucht ihresgleichen. 3000 Ausstellungsstücke aus Gold, Elfenbein, Juwelen und Edelsteinen bleiben in glitzernder Erinnerung.
So viel Kunst und Pracht macht hungrig und durstig. Der beste Platz, um gemütlich aufzutanken, liegt in der warmen Jahreszeit direkt an der Elbe: Der Biergarten am Narrenhäusl am gegenüberliegenden Elbufer bietet eine spektakuläre Aussicht auf die barocke Silhouette und eine entspannende Auszeit am Wasser gleichermaßen. An Sommerabenden verleitet die breite Uferwiese zum Picknicken. Interessant pausieren lässt sich auch hoch oben im Yenidze-Restaurant etwas weiter westlich der Altstadt.
Neustadt: Punk und bunt
Unsere Unterkunft in der Neustadt, am anderen Ufer der Elbe, erwies sich als optimal, da man hier mitten im kunterbunt zusammengewürfelten Leben zwischen Punk, Alternativkunst, Pubs und zeitgenössischer künstlerischer Fassadengestaltung nächtigt. Der Rothenburger Hof glänzte mit origineller Designausstattung. Die Neustadt bietet außerdem eine riesige kulinarische Auswahl von Eriträisch bis Libanesisch und auch die köstliche sächsische Eierschecke, eine Art Topfentorte, steht oft auf der Karte. Neben dem „kulturschutzgebiet“ in Neustadt und der Kunsthofpassage lockt auch das Erich Kästner Museum – und man sollte keineswegs die wunderschöne alte Pfunds Molkerei versäumen. Hier kauft man Milchprodukte und mittlerweile auch Souvenirs in prächtig gefliesten Räumen – und kann nicht aufhören zu knipsen. Auch das Japanische Palais ist mit seiner staatlichen Kunstsammlung definitiv einen Besuch wert. Highlight: das prächtige Damaskus-Zimmer, eines von nur wenigen erhaltenen syrischen Interieurs aus dem beginnenden 19. Jahrhundert.
Frohe Weihnachten!
Dresden ist ganzjährig eine Reise wert – aber alle Weihnachtsfans müssen im Advent anreisen. Denn etwa ein Dutzend Weihnachtsmärkte lässt diese Stadt glitzern, ohne dem Kitsch anheimzufallen. Am ältesten deutschen Markt, dem mittlerweile 589. Striezelmarkt, gibt es sogar eine eigene Währung – den Striezeltaler. Stimmungsvolle Laternenführungen entschleunigen im Kurzurlaub und beim Dresdner Stollenfest kann man sich dem Festumzug anschließen; besinnlicher wird’s, wenn in der Kreuzkirche der Kreuzchor das Weihnachtsoratorium von Bach erklingen lässt! All das Prächtige und dieser unbändige Wille zur Erneuerung schaffen es, die dunkelgrauen Bilder der Vergangenheit zu überdecken. Ein absolut lohnender Kraftakt.
CLAUDIA TAUCHER
Advent in Dresden
Eine echte Rarität: Seit 2014 besitzt der Striezelmarkt in Dresden mit dem sogenannten Striezeltaler eine eigene Währung für das bargeldlose Bezahlen auf Dresdens ältestem Weihnachtsmarkt.
striezeltaler.de
dresden.de
Weihnachten in und um Dresden
Schloss Pillnitz:
Das sehenswerte Wasserpalais direkt an der Elbe im Dresdner Stadtteil Pillnitz gelegen, wartet mit spektakulären Weihnachtsevents auf. Der Christmas Garden ist ein besonderer Lichterzauber im Schloss und Park.
schlosspillnitz.de
Weihnachtsmarkt Großsedlitz:
18 Kilometer außerhalb von Dresden wandelt man durch den sehenswert zauberhaften Barockgarten.
barockgarten-grosssedlitz.de
Meißen:
Das entzückende „Porzellan-Städtchen” Meißen nahe Dresden ist auch im Sommer ein romantisches Kleinod. Im Advent macht es dieses besondere Glitzern in den Augen.
meissner-weihnacht.de
Weihnachtsdorf Seiffen:
Seiffen im Erzgebirge ist 65 Kilometer von Dresden entfernt und im Advent kann man von Dresden aus eine Original Bergmannstour in Seiffen buchen. Stimmungsvoll!
seiffen.de/weihnachten
Alle Bilder: Claudia Taucher