Weiße Weste

Vier Winzer, vier Charaktere, ein gemeinsamer Nenner: die Rebsorte Weißburgunder. Was hat Pinot blanc aus der südöstlichen Steiermark auf dem Kasten?

Austragungsort der herbstlichen VIA-Verkostung war das Genussgut Krispel in Neusetz, das für 1,2 Millionen Euro unlängst eine Neuausrichtung inklusive eines Genusstheaters erfahren hat. (Foto: Oliver Wolf)

Die Entstehungsgeschichte des steirischen Vulkanlands liest sich wie eine Abenteuerreise: Sie erzählt von der Gebirgsbildung der Alpen, dem Aufeinanderprallen von Platten, heftigen Vulkanausbrüchen, dem Versinken im Meer, dem Wiederauftauchen aus dem Ozean, Gletscher, Eiszeit. Eine imposante Historie des Bodens auf dem heute Winzer wie Stefan Krispel Rebwurzeln wachsen lassen und auf dem zahlreiche Geschäftsmodelle gedeihen. Das Genussgut Krispel, auf dem wir zur herbstlichen VIA-Weinkost einkehren dürfen, basiert auf autodidaktischer Energie. 1988 übernahmen Daniela und Anton Krispel als der Schlosser und die Modefachfrau die Landwirtschaft von Antons Eltern. Heute sitzt Sohnemann Stefan mit der eigenen Familie am Hebel. Jüngst investierte man einen Millionenbetrag in den Standort und erweiterte diesen um das sogenannte Genusstheater, ein ambitioniertes Abendrestaurant unter der kulinarischen Leitung von Daniel Weißer aus Leipzig. Zwölf Tische in einem abgeschirmten Innenhof werden mit Kreationen von getrocknetem Wollschweinschwanz bis Taube und Gebirgsgarnele bespielt. Á la carte sind neben Tagliatelle Busara und Geflügelconsommé mit Steinpilz-Ravioli typische Krispel-Klassiker wie Wollschweinschnitzerl und Wollschweinsteak am Start. Desserts liefert Stefans Schwester Lisa Krispel.

Foto: Oliver Wolf

„Wir freuen uns riesig, dass das Konzept so gut angenommen wird und unsere Gäste, die uns zuvor nur als Buschenschank kannten, offen für neue Geschmäcke und neue Erfahrungen sind“, freut sich der Hausherr und Winzer. Seine Insel ist größer geworden. Das steirische Vulkanland verfügt über etwa 1500 Hektar Rebfläche, die kein zusammenhängendes Weinbaugebiet darstellen, sondern eher aus kleinen und mittelgroßen „Weinbauinseln“ besteht. Straden ist eine davon. Dort ist auch Winzer Walter Frauwallner, neben den Kollegen Josef Scharl und Stefan Müller von Krispel zur Verkostung geladen, beheimatet. Weißburgunder ist das Thema, Frauwallner spielt seine Hauslage Riede Buch in den Jahrgängen 2019, 2017 und 2008 aus. Zarte Haselnuss und nette Säure im mittleren Jahrgang. Scharl und Müller orten im 2019er bereits Vielschichtigkeit und Frauwallner selbst mag die Butterscotch-Note im 2008er. „Weißburgunder ist ein toller Speisebegleiter, aber im Weingarten zipft er mich manchmal an, weil er nicht immer so üppig rankt. Wenn man ihn zu früh erntet, wird er mächtiger. Die Weißburgunder-Ernte braucht Zeit und mehrere Lesegänge. Die Trauben sind etwas dünnhäutiger“, erklärt der Südoststeirer. Seit 2003 baut Frauwallner den Pinot blanc der Lage Buch als Lagenwein aus.

Erloschenes bringt Neues zum Glühen

Frauwallner, Krispel, Müller und Scharl (v. l.) im geselligen Flight-Modus Weißburgunder. (Foto: Oliver Wolf)

Stefan Müllers mitgebrachte Weißburgunder-Lage Ried Seindl schöpft ihr Potenzial auf 450 Meter Seehöhe aus. Jahrgang 2019 schmeckt markant nach Basalt, 2017 verzeichnet eine leichte Marzipan-Nuance. „Die Verschlossenheit des dunklen Vulkangesteins ist typisch für diese Lage“, protokolliert der Weinbauer in zweiter Generation. Kollege Scharl lobt Müllers Jahrgang 2015: „Man schmeckt feinen Rauch, staubigen Basalt und trotzdem ein wenig weiße Schoki und Krokant. Das hat Charakter.“ Stefan Müller schmeckt die Kritik. „Früher hat man sich wirklich noch mit den Begebenheiten der Natur auseinandergesetzt. Das müssen wir uns zum Vorbild machen und Weine hervorbringen, die den Boden 1:1 interpretieren“, so der Vater eines Sohnes. Im Verkostungsraum des Genusstheaters viniert Stefan Krispel die Burgundergläser für den nächsten Flight. Eine Riedenstudie, diesmal Ried Neusetzberg Vulkanland Steiermark DAC 2019 zu Beginn. Die Wurzeln der Rebstöcke durchbohren einen Materialregenbogen aus Basalt, Opok, Sandnestern und Muschelkalk. Der Wein hat Drive. Leicht salzig, etwas Kümmel und grüner Pfeffer – das mutet nach Lagerpotenzial an. Der Weißburgunder Ried Stradener Rosenberg 2019 ist in der Nase zugänglich, darf aber noch etwas liegen, um auch am Gaumen vollends performen zu können. „Die Rebsorte ist ein toller Bodenträger und nimmt das Kleinklima hervorragend auf“, streut Krispel dem Pinot blanc Rosen. „Weine mit Charakter haben ihren Ursprung in der Umgebung, wo sie Wurzeln schlagen. Jede Lage hat ihre besondere Geschichte, die wir in Weine verarbeiten“, unterstreicht Josef Scharl. Der Mann, der nie ohne Mütze anzutreffen ist, schreibt dem Weißburgunder eine ganz besondere Persönlichkeit zu: „Er ist Everbody’s Darling. Das zeigt zumindest die Erfahrung in unserer Buschenschank.“

Emotionaler Stellenwert

(Foto: Oliver Wolf)

Mitgebracht hat Scharl drei unterschiedliche Weißburgunder-Jahrgänge der Riede Annaberg. Drei Hektar widmet er ausschließlich dieser Rebsorte. „Hier hat für mich als Winzer alles angefangen. 1872 ist die Lage erstmals urkundlich erwähnt. Das hat schon einen hohen emotionalen Stellenwert. Im heurigen Jahr verzeichne ich meinen 27. Jahrgang“, hebt der Familienvater aus dem Vulkanland hervor. Die letzten drei Jahrgänge schickt Scharl nun in die Runde, fast vier Jahrzehnte haben die Rebstöcke am Annaberg am Buckel. 2020 lag ein Jahr am Holz. Verwunderlich, dass es im Glas trotzdem kaum spürbar ist. Im 2019er orten die Weinbauernkollegen „geilen Stoff“. Kalkig, trinkig, vibrierend mit leichtem Grapefruit-Ton hinten raus. Scharl schenkt nach: „Der beste Wein ist ein süffiger Wein – eine Flasche, die man unbewusst leert und danach trotzdem gerne noch was davon hätte.“ „Josef, mir taugt der sehr“, ist dem zurückhaltenden Stefan Müller zu entlocken. Namensvetter Krispel schreibt Scharls Kreation Biss und Kernigkeit zu. „Der Wein hat eine gute Struktur. Da zerläuft nichts. Das verspricht Langlebigkeit.“ Ein wenig haben auch wir uns eingetrunken. Schade ist es schon, dass hier keine Wollschweinsau mehr durch den Gastgarten spaziert wie einst in den Anfängen der Buschenschank Krispel. Dafür steht am 26. November 2021 die Rückkehr des Kultfestes, die „Vermessung der Sau“, an. Ein Sautanz vom Beuschel über Grammeln mit Trüffeln bis hin zum Wollschweinbraten, nach alter Tradition verspeist von der Nase bis zum Schwanz, unter der Regie von Stefans Vater Toni. Zutritt nur mit Ticket möglich.

Tina Veit-Fuchs

 

Beitragsbild: Oliver Wolf