„Wir leben in ernsten Zeiten“ Ekaterina Degot über „Volksfronten“

Ekaterina Degot | Foto: Laibach
Ekaterina Degot, die neue Intendantin des steirischen herbstes, über Nationalismus, Humor und die Frage, wie russisch Österreich heute geworden ist.
Ekaterina Degot | Foto: Christian Benesch

Foto: Christian Benesch

Es herbstelt wieder in der Steiermark. Am 20. September 2018 geht Europas ältestes interdisziplinäres Festival für zeitgenössische Kunst in sein 51. Jahr. Volksfronten nennt sich das Kernprogramm des diesjährigen steirischen herbstes, es ist die erste von Ekaterina Degot gemeinsam mit einem Kuratorinnenkollektiv organisierte Ausgabe. Die 1958 in Moskau geborene Kunsthistorikerin, Kunstpublizistin und Kuratorin war zuvor künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt in Köln.

VIA hat die neue Intendantin zum Interview gebeten.

 

1997 waren Sie erstmals als Expertin für russische Kunst zu Gast beim steirischen herbst. Seither ist viel Wasser die Mur hinuntergeflossen. Wie erleben Sie Graz heute, so viele Jahre später?
Ekaterina Degot: Damals in den 90er-Jahren war Graz sicherlich „der Westen“, weit weg von Moskau. Heute merke ich, wie sehr wir uns hier eigentlich in Mittelosteuropa befinden. Äußerlich ist Graz sehr hübsch und gemütlich, aber unter der Oberfläche erkennt man eine sehr dichte, verwachsene, oft unheimliche und vor allem gemeinsame Geschichte, wo sich „Westen“ und „Osten“ treffen. Vielleicht ist Österreich tatsächlich in den letzten Jahren „russischer“ geworden, und ich meine damit eher die Politik und Medienlandschaft, die sich in eine für mich erkennbare Richtung entwickelt …

 

Ekaterina Degot | Foto: Courtesy Bread & Puppet Theater

Zur Eröffnung des
steirischen herbstes lädt
die US-amerikanische
Gruppe Bread & Puppet
Theater zu einer Parade quer durch Graz.

Volksfronten – so der Titel des diesjährigen steirischen herbstes. Eine harte Terminologie, die befremdet und viele Fragen aufwirft. Gewollte Verstörung als Commitment? Wie politisch wird der herbst unter Ekaterina Degot?
Das Wort „Volk“ ist für deutschsprachige Menschen immer problematisch, weil es automatisch mit der Nazi-Ära assoziiert wird. Es ist ein Wort, das irritiert. Wir meinen eine Art von antifaschistischer „Menschen-Front“, aber im Plural. So entsteht die Frage: Wenn es viele Fronten gibt, an welchen müssen wir kämpfen?

Das Wort ist kein einfaches, aber es zeigt hoffentlich wie die Ausstellung selbst die sehr unterschiedlichen Aspekte der politischen, sozialen, ideologischen und kulturellen Kriege unserer Zeit. Wir leben in ernsten Zeiten und viele Dinge ändern sich politisch. Ich denke, dass Kunst sich dem Nationalismus entgegenstellen sollte. Wir haben also heuer ernste Themen. Aber eine starke Opposition zu stellen, bedeutet nicht unbedingt, dass wir mit Flaggen kommen müssen – wir können auch ironisch sein und uns über etwas lustig machen.

Sie werden zum Beispiel eine Performance von Roee Rosen und Hani Furstenberg sehen, die sehr ernste Themen als Stand-up-Comedy inszeniert. Der Kontrast, der dabei entsteht, macht es einem fast unbehaglich, zuzuhören. Es ist eine der stärksten Arbeiten des Festivals.

 

Opposition bedeutet nicht unbedingt, dass wir mit Flaggen kommen müssen – wir können uns auch über etwas lustig machen.
Ekaterina Degot

 

Ekaterina Degot | Foto: Christian Benesch

Foto: Christian Benesch

Ihre Vorgängerin Veronica Kaup-Hasler kam vom Theater, Sie aus der Welt der bildenden Kunst. Das aktuelle Programm spiegelt das auf den ersten Blick nicht wider …
Das ist ein Kompliment, ich schätze die Arbeit von Veronica Kaup-Hasler sehr. Der Schwerpunkt liegt für mich darauf, mit interdisziplinär arbeitenden Künstlerinnen ortsspezifische Arbeiten zu entwickeln.

Diese Künstlerinnen arbeiten eher im Bereich der zeitgenössischen bildenden Kunst  als im Theater, das stimmt. Hier sind die Grenzen fließender. Fast alle Werke sind Neuproduktionen, vom steirischen herbst in Auftrag gegeben und speziell gemeinsam mit den Künstlerinnen für diesen lokalen Kontext, aber mit globaler Relevanz konzipiert und selbst produziert.

Etwa zu je einem Drittel Installationen, Performances und Projekte im öffentlichen Raum. Darüber hinaus gibt es Symposien und Diskussionen. Ich freue mich beispielsweise sehr auf die offene Interviewserie „Our Little Facisms“. Zusätzlich gibt es wie immer natürlich auch das institutionelle Begleitprogramm und das musikprotokoll, das ist gleich geblieben.

 

Ein Blick auf die Veranstaltungsorte des diesjährigen Festivals lässt eine gewisse „Graz-Lastigkeit“ erkennen. Steht in Zukunft auch eine vermehrte Einbeziehung der Regionen auf Ihrer Agenda?
Auch dieser steirische herbst beschäftigt sich schon stark mit der Region, es gibt ein Projekt über die Region Erzberg, über Aflenz, ein neuer Film wurde in der Steiermark gedreht. Diese Projekte zeigen exemplarisch an, was uns an der Region interessiert und wo die Reise in den nächsten Jahren hingeht.

Ich glaube nicht, dass es reichen wird, einfach eine Ausstellung in einem kleinen steirischen Ort zu eröffnen – das Enagement sollte tief gehend sein und etwas bedeuten, es sollte nachhaltig in die Region wirken. Privat bin ich übrigens auch eine Liebhaberin der Steiermark, besonders die Grenze zu Slowenien hat es mir angetan.

 

In Ihrer Heimat hatten Sie als Kunsthistorikerin und -publizistin immer viel Reibungsfläche – erst innerhalb (post-)kommunistischer Strukturen, später mit dem autoritären Regime eines Wladimir Putin. In welcher Hinsicht hat das Ihr Denken und Schaffen geprägt? Und mit welchem Gefühl schauen Sie heute nach Russland?
Die Unterdrückung und der Informationsmangel meiner sowjetischen Kindheit haben mir komischerweise sehr geholfen, meine Neugier zu bewahren und einen Sinn für Humor zu entwickeln, der mir jetzt auch zur Seite steht. Besonders in den letzten fünf Jahren braucht man ihn, und nicht nur in Russland, wo die Lage immer ernster wird: man kann ins Gefängnis kommen, wenn man einen kritischen Beitrag auf einem Blog likt.

 

Beamen wir uns ins Jahr 2022! Ekaterina Degot blickt zurück auf fünf Jahre Intendanz in Graz. Was ist Ihre kühnste Hoffnung, was Sie bis dann bewegt haben?
Wenn wir nur einen Menschen dazu gebracht haben, umzudenken und alte Denkmuster über Bord zu werfen, dann wäre das ein Erfolg.

 

Weitere Infos und Termine zum steirischen herbst 2018 unter www.steirischerherbst.at

 

Beitragsbild: Laibach