„Worum geht es EIGENTLICH?“

„Worum geht es EIGENTLICH?“
Er begann als Parkplatzwärter in Athen zu zeichnen, kultiviert den liebevollen, kindlichen Blick und bringt mit Kunst und in der Sozialarbeit komplexe Dinge auf den Punkt: Jörg Pagger.

Der steirische Zeichner und Texter Jörg Pagger erzählt von einem dieser Lebensläufe, deren manchmal verschlungene Pfade irgendwann in die genau passende Richtung weisen. Die man gerne staunend verfolgt, manchmal ein bisschen neidisch ob der Kreativität und Freiheit, die sie an den Tag legen. Vom Parkplatzwärter zum Künstler war jedoch kein weiter Weg für Pagger. Was ihn sonst noch mit seiner zweiten Heimat Griechenland verbindet und wie er das Ganze mit Sozialarbeit verlinkt, erzählt er im VIA-Interview.

Wie entstanden die ersten „Parkplatzgeschichten“?

Als Parkplatzwärter in Athen begann ich, täglich zu zeichnen. Diese Zeichnungen verkaufte ich auf dem Parkplatz, Hunderte Seiten aus jener Zeit liegen noch unveröffentlicht in meinen Schubladen; aus den Zeichnungen entstand damals mein erstes Buch „Parkplatzgeschichten“ (nicht mehr erhältlich, Anm.). Ich hatte damals immer zu meinem Chef Giannis, der sich über mein Zeichnen lustig gemacht hatte, gesagt, dass ich einmal sehr berühmt würde und ihm dann seinen Parkplatz abkaufen würde. Als dann das Buch fertig war, fuhr ich zu ihm und Giannis und ich posierten damit stolz vor dem Parkplatz.

Inwiefern hat Griechenland Sie noch beeinflusst?

Jahrelang „konnte“ ich nur in Griechenland kreativ sein und nach wie vor liebe ich es, am Meer zu sitzen und zu zeichnen. Ich habe aber im Laufe der Jahre eine Regelmäßigkeit entwickelt, welche mich auch außerhalb Griechenlands kreativ sein lässt, und so zeichne und schreibe ich mittlerweile nahezu täglich – ein fixer Bestandteil meines Lebens. Meine Werke entstehen vorzugsweise in Cafés – ich brauche Ruhe und Zeit. Am liebsten setze ich mich ins Kaffeehaus und warte einfach, bis irgendwann die erste Idee daherkommt.

Gibt es griechische Cartoons von Ihnen?

Ja, ich habe auch schon Zeichnungen auf Griechisch verfasst, schreibe auch griechische Texte, habe auch in einer griechischen Zeitung veröffentlicht. Auch das macht mir großen Spaß – vor allem das Spielen mit Worten –, ich habe dabei als Nicht-Muttersprachler einen anderen Blick auf die Wörter, was oft sehr lustig sein kann. Aber gerade bei Humor ist es auch oft schwierig, den gut zu übertragen.

Was entsteht zuerst: der Text oder das Bild?

Meistens zuerst der Text, das Wort, dann kommt die Form dazu. Der Cartoon ist für mich die beste Ausdrucksform, denn ich kann in dieser Form Zeichnung und Text gut verbinden – nicht immer brauche ich beides, manchmal genügt mir das Wort, aber die Zeichnung gibt dem Ganzen eine besondere Note und schafft oft neue Facetten.

Ihre „Miniaturen“ sind politisch, gesellschaftspolitisch, schräg, philosophisch …. Was inspiriert Sie am meisten?

Eigentlich kann mich alles inspirieren: Worte, eine Form, eine Farbe, Tiere, Gespräche, ein Blick nach innen, Gedanken, Selbstzweifel – ich habe das Gefühl, ich könnte tatsächlich „aus allem etwas machen“. Die Kunst ist wohl das Einzige, wo ich niemals Versagensängste habe. Geben Sie mir etwas, und ich mache hundertprozentig etwas daraus. Ich weiß mittlerweile, dass das wirklich so ist. Nichts ist zu banal, als dass ich nicht eine ganze Geschichte oder Welt darum herum basteln könnte – und dabei empfinde ich jene Freude, die ich schon als Kind hatte, wenn ich kreativ war. Da hat sich bis heute nichts daran geändert. Meine liebste Inspiration ist letztlich die Sprache, Worte. Neues zu kreieren aus Worten, Gedanken zu denken und zu Papier zu bringen, die in dieser Form noch niemand gedacht hat – das macht mir unglaubliche Freude.

Manche Texte erinnern an Aussagen von Kindern – oder kommt da das Kind im Erwachsenen durch?

Ich denke, ich habe mir die Fähigkeit bewahrt, auch ein Kind zu bleiben – meine Frau Eirini, die in Athen Malerei studiert hat, und ich haben zwei Söhne: Yannis und Georgios, 16 und 11. Yannis, der ältere, hat übrigens heuer den Bachmann-Juniorpreis gewonnen. Mit den eigenen Kindern habe ich das Kind in mir stärker wahrnehmen können, die Gedanken von Kindern sind so liebevoll. Das ist unsere Essenz – so sind wir im Innersten. Und das versuche ich auch in meinen Arbeiten auszudrücken. Ich habe vor ein paar Jahren ganz bewusst sämtliche Bilder und Texte, die zynisch waren (und die ich teilweise sehr oft verkauft habe), weggeworfen – nicht aus moralischen Gründen, nicht weil ich etwas „Besseres“ sein wollte, sondern weil es mir nicht mehr entsprach. Meine Figuren sind jetzt, wenn sie über andere urteilen, immer ein Stück selbstironisch. Ich halte die Selbstironie für eine der wichtigsten Eigenschaften.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrer künstlerischen Tätigkeit und Ihrem Beruf als Sozialarbeiter?

Ja, auf jeden Fall – soziale Arbeit „schärft“ Menschen­bilder, schafft Verständnis für Lebenswirklichkeiten fernab „gelungener“ Lebensentwürfe, macht nachsichtig, ist sehr komplex – und dennoch gibt es meistens EINE Essenz, einen Punkt, der wesentlicher als die anderen ist. Ich denke, ich versuche in meiner künstlerischen Arbeit, komplexe Dinge „auf den Punkt“ zu bringen, so wie ich das auch in der sozialen Arbeit praktiziere. Oft ist da die Frage: Worum geht es EIGENTLICH? Eine entscheidende Frage auch bei meinen Figuren. Das Ganze wird ergänzt durch eine grundlegend wohlwollende Haltung den Menschen gegenüber, meinen Figuren und mir selbst. Sie scheitern, sie hadern mit sich und der Welt, sie stecken oft in etwas fest, aber mehr noch hoffen sie, machen weiter und erwarten sich Gutes, irgendwann.

Wie kam es, dass Sie ausschließlich auf Kunsthandwerksmärkten ausstellen und verkaufen?

In die Kunsthandwerksmärkte bin ich quasi „hinein­gerutscht“ – ein Freund gab mir den Tipp, ich solle es einmal dort versuchen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich dort hinpassen würde, es stellte sich aber im Nach­hinein als mein größtes Glück heraus. Ich begann beim Grazer Ostermarkt – und plötzlich kam ich kaum mehr mit dem Produzieren nach. Endlich hatte ich ein großes Publikum erreicht. Danach nahm ich am Weihnachtsmarkt teil, und der Trend setzte sich fort. Ich hatte Mühe, genug zu produzieren. Der Vorteil der Märkte: eine große Menge an Menschen, die an besonderen Dingen interessiert sind. Ich war also richtig. Aktuell nehme ich nur noch am Weihnachtsmarkt der divina art am Wiener Karlsplatz teil, der jährlich Tausende Besucherinnen und Besucher anlockt, und ich kann sagen, dass meine Bilder mittlerweile auf allen Kontinenten hängen – etwas, das mich sehr glücklich und dankbar macht und das ich mir nie hätte träumen lassen.

Wo geht die künstlerische Reise hin?

Ich denke, meine grundsätzliche Ausdrucksform gefunden zu haben – Text und Zeichnung, oft in Kombination, manchmal nur Text. Mein nächster Plan: Linoldrucke in limitierter Auflage, gerne arbeite ich auch mit Ton. Die künstlerische Entwicklung geht mit der persönlichen Entwicklung einher. Heute beschäftigen mich andere Themen als vor zehn Jahren, und ich nehme an, in zehn Jahren werde ich auf Themen anders blicken als heute – diesen Blick auf das Leben auszudifferenzieren und altersentsprechend „weiser“ zu werden, ohne zu moralisieren – das Kind in mir zu bewahren. Ich denke, dahin wird die Reise gehen – genau: Dinge anzusprechen, die ihre Gültigkeit behalten, nicht kurzlebig sind. Die großen Sinnfragen des Lebens, Gerechtigkeit, Liebe, Tod,
Beziehungen …

Von Claudia Taucher

Jörg Pagger

Geb. 1971 in Graz, aufgewachsen in Köflach. 2002–2006: Athen
Lebt seit 2013 in Leibnitz
Dipl. Sozialarbeiter, Lehrer für Sozialmanagement
Künstlerische Tätigkeit seit 2004

Bücher
2007: Parkplatzgeschichten, Grazer Medienverlag (vergriffen)
2010: das zweite buch
(vergriffen)
2022: Papiergeschichten (123 Anekdoten und Kurzgeschichten)

Ausstellungen
Kunsthandwerksmärkte
in Graz, Linz, Berlin
Aktuell: 24. 11.–23. 12.23 ART ADVENT, Wien, ­Karlsplatz

divinaart.at
joergpagger.at