„Zuerst spüren, dann sehen“

„Zuerst spüren, dann sehen“
Die Präsidentin der Sezession Graz, Helga Hudin, liebt abstrakte Formen und die Freiheit in der Kunst. Mit der Künstlervereinigung feiert sie heuer im Herbst das denkwürdige 100-Jahr-Jubiläum.

„Die Wegkreuzung mit der Kunst ist Leben“, gab die Präsidentin der Sezession vor fünf Jahren, als die Künstlervereinigung 95 Jahre zelebrierte, zu Protokoll. In diesem Jahr feiert die Grazer Künstlerin Helga Hudin mit der Sezession den 100. Geburtstag und bleibt der eingangs zitierten Aussage treu. Ihr Leben inmitten der Kunst sei ohne den künstlerischen Ausdruck schwer denkbar, gebe sie ihr doch „die Freiheit, mich so zu öffnen, wie ich es im Moment empfinde, … und die Kraft zu atmen“.

Vielfältige grafische Elemente schwirren auf Helga Hudins Gemälden und strahlen doch eine gewisse Ruhe aus. Auf der Suche nach Freiheit, 2022. 100 x 120 cm, Pigment auf Leinen Foto: Barbara Hudin

Seit 45 Jahren glüht die gebürtige Oberpremstätterin für die Kunst – in erster Linie für die Malerei. „Ich habe einfach aus Spaß damit begonnen, in die Kunstgewerbeschule
durfte ich nicht gehen.“ So ließ sich die Wahlgrazerin bei Künstlern wie Paul Rotter­dam und Giselbert Hoke ausbilden und besuchte Sommerakademien. Ausprobiert wurde vieles: Auch Öl- und Aquarellmalerei war dabei sowie die Altmeistertechniken, Radierungen, Holzschnitte – eine einzige Technik war einfach zu wenig. Hudin arbeitete sich durch das „große Angebot, um zu sehen, wo bin ich daheim, wo will ich bleiben“. An der Abstraktion blieb ihr Herz hängen und vor 20 Jahren fand sie dann zu ihrer speziellen Pigmenttechnik.

„Ästhetische Exerzitien“

Die Künstlerin malte in sogenannten „ästhetischen Exerzitien“ schon zu Rainer Maria Rilkes Gedichten und auch zu Texten von Friederike Mayröcker – auch heute noch liebt sie ­diese Verbindung der Künste. „Es ist ideal für die Abstraktion, man setzt Gedanken um, und was herauskommt, ist intuitiv.“ Auch die Lieder der Künstlerin Frida Kahlo inspirieren sie für ihre eigene Malerei. An ihrer Arbeit mit Pigmenten schätzt sie die stoffliche Wirkung: Ihre Leimfarben mischt sie mit Kleister, jede Farbe wird extra angerührt. Naturfarben und Naturpigmente erzeugen eine „erdige“ Wirkung und werden relativ transparent aufgetragen. „Ich arbeite in mehreren Schichten, das Dahinter­liegende sollte noch im Vordergrund sichtbar sein“, erklärt Helga Hudin
ihre Vorgangsweise. Durch die Abstraktion erfahre sie „eine innere Freiheit. Zuerst die Bilder spüren und dann sehen“ – das bestimmt ihren künstlerischen Zugang. Formal findet ­ihre Kunst in geraden, grafischen Elementen eine solide Basis, die die Werke immer eine gewisse Ruhe ausstrahlen lässt.

Seit 20 Jahren arbeitet Helga Hudin in der Pigmenttechnik und in vielen Ebenen. Stärke des Lichtes, 2022. 100 x 80 cm, Pigment auf Papier und Leinen. Foto: Barbara Hudin

Künstlervereinigung

Mit der Sezession verbinden Hudin die Jahre ab 2008, als sie sich der Künstlervereinigung anschloss. Das vielfältige küns­tlerische Netzwerk, die Möglichkeiten, mit der Gruppe nicht nur in der Heimat, sondern auch weit über Graz hinaus auszustellen und präsent zu sein, sind für sie auch heute ein wichtiges Argument für den Verein. Seit 2015 ist Hudin Präsidentin und bemüht sich in den letzten Jahren verstärkt um jungen Mitgliederzuwachs. Die Bereitschaft, sich in eine Gruppe einzugliedern, sei enden wollend, doch die Sezession hat nicht nur den künstlerischen Austausch zwischen mehreren Generationen und ein gutes Netzwerk anzubieten, sondern eben auch Ausstellungsmöglichkeiten.
Mit dem diesjährigen 100-Jahr-Jubiläum wird die geschichtsträchtige Sezession Graz wieder stark in den Mittelpunkt ­rücken. Im Herbst feiert die Künstlervereinigung ihr 100-jähriges Bestehen mit Ausstellungen am Grazer Flughafen, in Wien und bei einem Festakt im Grazer Heimatsaal. Die Geschichte der Sezession ist klarerweise durchwachsen – wegen der politischen Ereignisse im vorigen Jahrhundert. 1923 vom international tätigen und in München ausgebildeten Grazer Maler Wilhelm Thöny gegründet, wurde der Verein wie viele andere Künstlergruppen durch die Nationalsozialisten aufgelöst und das Vermögen der Vereine eingezogen – Stichwort: „entartete
Kunst“. Thöny selbst zog 1938 mit seiner ­jüdischen Ehefrau nach New York und starb dort 1949.

Einzug der Moderne

Mit der Sezession Graz hatte die Moderne Einzug in die Steiermark gehalten und war neben dem Wiener Hagenbund ein weiteres Zentrum der österreichischen Moderne.  Nach dem Zweiten Weltkrieg strömten viele Junge zur Sezession Graz, darunter Kurt Weber, Rudolf Pointner, Gottfried ­Fabian und Gerhard Lojen. Über allem Kunstschaffen in der Sezession Graz stand stets der Freiheitsgedanke, den die heutige Präsidentin Helga Hudin wie eine Fackel weiterträgt. Erneuerung und Aufgeschlossenheit waren und sind wichtige Prämissen nicht nur für die rührige Grazer Künstlerin, sondern seit 100 Jahren für die Künstlervereinigung ­Sezession Graz. Happy Birthday!

100 Jahre Sezession Graz

Die Sezession Graz ist die älteste steirische Vereinigung bildender Künstlerinnen und Künstler, die sich der Moderne verpflichtete. Wilhelm Thöny war der erste Präsident der im November 1923 gegründeten Sezession Graz. Sein Credo für die Sezession lautete: „Keinen künstlerischen Zwang ausüben – es kommt allein auf die Wahrhaftigkeit und die künstlerische Qualität an.” Thönys Mitstreiter waren Fritz Silberbauer, Hans Mauracher, Hans Wagula, Alfred Wickenburg, Friedrich Zotter und Paul Schmidtbauer. Ein Jahr später erfolgte die erste Ausstellung der Sezession Graz. Von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst” verboten, erfolgte 1945 die Neukonstituierung des Vereins.
Die Sezession sieht sich als „Stimme gegen jede provinzielle Selbstgenügsamkeit, eine Gegenstimme zum vermeintlich Selbstverständlichen”. Seit Bestehen zählt man 120 Mitglieder, heute sind 27 Mitglieder aktiv.

Foto: Barbara Hudin

Helga Hudin

… ist seit 2015 Präsidentin der Sezession Graz und seit 2008 aktives Mitglied.
Ausbildung bei Professoren an der Kunstakademie Wien, Ulm (D), bei Paul Rotterdam aus New York und bei Giselbert Hoke. 40 Jahre lang Lehrauftrag an der VHS Graz.Ausstellungen in Graz, Wien, Linz, Innsbruck, Kärnten, Burgenland sowie in Italien, Ungarn, Moskau, Sankt Petersburg und Montclair (USA).
hudin.at

Ausstellungen:

• Grenzenlos: Flughafengalerie Graz Thalerhof. Gewidmet Wolfgang Finder († 24. 5. 2023)
Vernissage: 13. September, 19 Uhr bis 5. Oktober 2023
• Die Grün-Weiße-Galerie: Galerie am Park, Liniengasse 6a, 1060 Wien. Vernissage: 23. Oktober, 17.30 Uhr. Bis 3. November 2023
100-Jahr-Feier: 20. September 2023, 16 Uhr: Baumsetzung im Garten des Volkskundemuseums Graz, Paulustorgasse 11. Anschließend Festakt im Heimatsaal, Paulustorgasse 13a.
sezessiongraz.at

 

Von Claudia Taucher

Beitragsbild: Renate Polzer