Dharamsala ist das Zentrum der tibetischen Exilregierung und Sitz des Dalai Lama. Der ist zwar nicht immer selber da, aber dafür immer mehr buntes Volk auf der Suche nach sich selbst und allem möglichen anderen.
Unten, in Lower Dharamsala, auf 1.220 m Seehöhe am Fuß des indischen Himalaya gelegen, ist die spirituelle Erleuchtung zumeist noch recht mäßig: Der kleine Marktflecken liegt nicht selten im Nebeldunst der Ebene und lebt von einem Busbahnhof mit angeschlossener Busbahnhof-Bar, wo auch frühmorgens schon Chai und Aloo Paratha gereicht wird, wem danach ist – Milchtee mit Kartoffelfladenbrot, viel mehr gibt es da nicht.
Kein Wunder, dass die meisten rasch nach oben wollen: Upper Dharamsala, auch als McLeod Ganj bekannt, liegt rund 600 Meter höher und ist mit unten längst zusammengewachsen. Der Jeep-Trail braucht dafür mit atemberaubenden Steigungen und einspurigen Serpentinen nicht einmal vier Kilometer, die Umfahrung für Busse mehr als zehn Kilometer. Asphaltiert sind beide, wenn man die Schlaglöcher wegdenkt. Dahinter beginnen Allradpisten hinauf zu den Gletschern hinter den Waldkuppen, die irgendwann zu Fußwegen werden: Rechtzeitig vorher umdrehen kann nicht schaden.
Die frühere britische Garnisonsstadt wurde 1905 durch ein Erdbeben dem Erdboden gleichgemacht und geriet in Vergessenheit, bis der 14. Dalai Lama – damals blutjung – 1960 um indisches Asyl ansuchte und sich hier niederließ. Und dann ging’s los: Dieses Dharamsala, das oben am Berg nämlich, ist zu einem der wichtigsten Touristenorte Nordindiens geworden, tibetisches Kulturzentrum, Traveller-Enklave und Trekking-Mekka gleichermaßen. Und eines der schicksten Stelldicheins für indische Honeymooner, die an lauschigen Plätzchen wie dem verwachsenen alten Friedhof hinter der Kirche „St. John in the Wilderness“, nicht nur Affen füttern, sondern ein wenig Zeit zu zweit finden wollen. Und das ist in Indien nicht immer leicht, nicht einmal hoch oben.
Cloud’s End
Ja, es regnet oft dort oben, nicht nur in der Monsunzeit: Kein Wunder, dass der Ruhesitz für verheiratete Offiziere „Cloud‘s End“ heißt. Richtig, es gibt schönere Orte im Himalaya, mit Aussicht auf nahe Gipfel und Gletscher. Korrekt, es wird viel zu viel gebaut – denn ebene Flecken gibt es nur ein paar hundert Meter entlang der Jogbara Road und der Temple Road, hinunter zum Allerheiligsten, wo im Tsuglagkhang Complex der Photang zu finden ist, die offizielle Residenz des Dalai Lama, die Namgyal Tsemo Gompa und das Tibet Museum.
Zwischen den beiden Straßen, die breit genug sind für zwei Kälber und einen Tata Nano, steht noch eine dritte Häuserzeile, gerade drei Meter breit: Durch die Scheiben des Pilgerfrisiersalons taucht schemenhaft die nächste Kuh auf, die soeben eine ältliche Royal Enfield gegen einen Bananenkarren wirft, was weder dem Motorrad, den Bananen noch dem wackeligen Rinderbaby daneben besonders guttut. Vom Dachgarten des tibetischen Restaurants Tsongkha
dazwischen, wo die Momos noch fetter sind und die Nudelsuppen in noch tieferen Schüsseln kommen als sonst wo, überblickt man die ganze Stadt, zumindest die heroben am Grat, fast bis hinüber zur tibetischen Flüchtlingsschule am heiligen Dal-See, wo die Götterfiguren auf den Tretbooten allerdings dringend ein bisschen neue Farbe bräuchten.
Yoga, Malen und Kochkurse
Ein Tata Nano hat ein Lenkrad, einen Scheibenwischer, vier Räder, zwei Türen und ein Dach. Das war’s auch schon, doch um rund 1.000 Euro bekommt man auch in Indien nicht mehr als zwei Meter Auto. Und das ist gut hier, denn der Hauptplatz des Pilgerstädtchens am Ortsende ist höchstens 70 Quadratmeter groß. Wendemanöver enden nicht selten fast im Pastry Palace an der Ecke, wo ein farbenprächtiges Stück Schwarzwälder Kirschtorte um 60 Cent im Angebot ist. Gelegentlich beschließt die Tante der jungen Kuh von vorhin zu kosten, nachdem sie von einem orangefarbenen Pulk Pilger verscheucht wurde, weil sie sich an den kübelgroßen Gebetsmühlen reiben wollte. Kuh sein ist nirgends leicht hier.
In der abendlichen Dämmerung um 17.30 Uhr, wenn die Tatas allmählich Fernlicht einschalten sollten, hätten sie eines, läuft im Hinterstubenkino „Machete Kills“ an, auf Großbildschirm, wie auf handgeschriebenen Plakaten verlautet, bevor der Regen die Schrift verwischt hat. Ein paar deutsche Studenten sitzen da, mit Free-Tibet-Shirts, was sonst. Und dem alten Sadhu, einem der struppigen heiligen Männer hier heroben, ist der Filmtitel ohnedies egal, solange es drinnen trocken ist.
Das „Heart Rock Cafe“, ein Kellerschuppen, hat zwar laut Eingangsschild ganzjährig ganztägig offen, aber heute eben nicht. Bis der Dalai Lama wieder seine öffentlichen Teachings macht, kann man sich auch mit Yoga, Malen und Kochkursen vergnügen, sagen die Traveller im Snow Lion Restaurant bei einer Tasse Mokka Madness, während sie via WLAN nachsehen, wo heute Abend die nächste Yoga-Selbsterfahrung losgehen soll, weil Sangye’s Kitchen erst morgen wieder öffnet. Ob der Haufen Schlagobers dazu mit irgendeiner Kuh von vorhin zu tun hat, wissen nur die Götter. Tashi Delek, möge es euch allen wohl ergehen!
GÜNTER SPREITZHOFER
Reiseinfo
Visum
Für österreichische Staatsbürger erforderlich vor Reiseantritt:
c/o BLS International Visa Services Austria, Hegelgasse 17, Top 9, 1010 Wien, Tel. +43 1 9437272,
Touristenvisa sind sechs Monate gültig, Kosten 57,20€, Bearbeitungszeit zwei Tage
Info: Indisches Fremdenverkehrsamt: Basler Straße 48, 60329 Frankfurt/M., Tel. +49 69 2429490
Anreise
Linienflüge nach Delhi saisonabhängig ab 480€ (AUA, Lufthansa, British Airways, Turkish Airlines u. a.)
Spicejet und Air India, tgl. mindestens ein Flug von Delhi nach Gaggal (Kangra Airport; 1,5 h in kleinen Propellerflugzeugen),
von dort per Bus oder Taxi ca. 20 km bis Dharamsala.
Private Luxusbusverbindungen nach Delhi (13 h), Manali (8 h) und Shimla (9 h), langsamere Linienbusverbindungen auch zu zahlreichen anderen Destinationen in Haryana, Punjab und Himachal Pradesh.
Jahreszeit
April bis Mitte Juni, Oktober bis November ist es trocken: Haupttrekkingsaison; in den Sommermonaten kann Monsunregen die Zufahrt massiv erschweren, in den Wintermonaten wird es kühl und feucht – die meisten Hotels haben keine Heizmöglichkeiten.
Schlafen & Essen
Zahlreiche Gästehäuser aller Preisklassen (ab 2€/Nacht).
Bestes Haus am (Haupt-)Platz: Hotel Lhasa, mit Dachterrasse, Bar und Spielsalon („Gaming Zone”) daneben:
Zimmer ab 15€, Suiten ab 34€.
Stilistisch und architektonisch top: Chonor House Hotel, mit ruhigem Garten und etwas abgelegen, im tibetischen Stil:
Zimmer ab 28€
Zahlreiche Restaurants (tibetische, chinesische, nordindische, internationale Küche).
Tipp: Snow Lion Restaurant (Euro-tibetische Spezialitäten, wie Fresh Mixed Fruit Tsampa Porridge).
Aktivitäten
Outdoor-Aktivitäten
Zahlreiche Anbieter von Mehrtagestreks, z. B. ins Chamba Valley, ab 20€/Person/Tag (all inclusive); Paragliding (ab 32€); Motorradverleih (ab 13€/Tag); das Regional Mountaineering Centre vermittelt Guides und Träger.
Tageswanderungen zum Bhagsu-Wasserfall oder zum Dal-See, auch ohne Führer nicht zu verfehlen.
Volunteering
Volunteer Tibet organisiert Unterricht und Computerausbildung auch in entlegeneren Gebieten. Minimumaufenthalt zwei Monate.
Lha organisiert und unterstützt ebenfalls Community Projekte. Minimalaufenthalt zwei Wochen.
Hope Education Centre & Gu Chu Sum (beide: Jogibara Road) organisiert Sprachunterricht für tibetische Flüchtlinge.
Mit dem Dalai Lama sprechen?
Warum nicht! Der Dalai Lama hält auch in Dharamsala regelmäßig öffentliche Veranstaltungen ab (Programm). Registrierung im lokalen Branch Security Office nötig, Reisepass und Passbilder erforderlich.
Infostellen und Museen zur tibetischen Geschichte und Kultur in Dharamsala, alle in Gehdistanz, aber manchmal mit vielen Höhenmetern dazwischen:
• Information Office of Central Tibetan Administration
• Tibet Museum
• Library of Tibetan Works and Archives
• Tibetan Medical and Astrological Institute
• Tibetan Children’s Village
• Tibetan Institute of Performing Arts
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